Willkommen im Blog

Mittagessen bei Ellis

Bis zu 120 Kinder und Jugendliche bekommen beim Kalker Kindermittagstisch jeden Tag eine warme Mahlzeit. Der Verein ist in dem sozialen Brennpunkt in Köln längst auch Anlaufstelle für viele andere Probleme seiner jungen Gäste.

Veröffentlicht:16.08.2015 Schlagworte: Soziales Kommentare: 5

empfehlen

Die Milch ist leer. Und in etwa einer Stunde kommen die ersten Kinder zum Essen. Aber wer an manchen Tagen bis zu 120 Kinder mit einer warmen Mahlzeit versorgt, der lässt sich von ein paar Litern fehlender Milch nicht aus der Ruhe bringen. Einer der ehrenamtlichen Helfer sprintet noch los in den nächsten Supermarkt. Krise abgewendet.

Von Montag bis Freitag gibt es beim Kalker Kindermittagstisch eine kostenlose Mahlzeit für jedes Kind und jeden Jugendlichen, der zur Tür hereinkommt. Sobald die Schule zu Ende ist, füllen sich die Tische nach und nach. Bevor sich die Kinder setzen, schauen sich die meisten von ihnen nach einer schwarzhaarigen Frau um. "Ellis! Hallo!", begrüßen sie Elisabeth Lorscheid.

Ein ehrenamtlicher Vollzeitjob

Die Kölnerin hat den Kindermittagstisch gegründet und ist bis heute sein Gesicht nach außen. Vor sechs Jahren erlebte sie im Freundeskreis ihrer beiden Söhne, dass eine tägliche warme Mahlzeit nicht in jeder Familie selbstverständlich ist – gerade wenn am Ende des Monats das Geld knapp wird. Was mit zwei Tagen pro Woche begann, an denen Elisabeth Lorscheid in einem Jugendzentrum kochte, ist heute ein ehrenamtlicher Vollzeitjob.

Der Kindermittagstisch ist inzwischen ein Verein mit eigenen Räumen in der Bertramstraße. Seine Arbeit wird ausschließlich über Spenden finanziert, das Essen stammt von großen und kleinen Lebensmittelhändlern aus der Umgebung. Doch längst geht es nicht mehr nur um das kostenlose Mittagessen. Im sozialen Brennpunkt Köln-Kalk ist das Team des Kindermittagstischs Anlaufstelle für alle möglichen Probleme der Kinder und Jugendlichen aus dem Stadtteil.

Unternehmen macht Nachhilfe möglich

"Hey", ruft Helmut Brügelmann. "Wer hat hier seine Sachen nicht weggeräumt?" Ein Junge kommt vom Kicker herübergelaufen und trägt das gebrauchte Geschirr weg. Helmut Brügelmann schaut ihm streng hinterher. "Wir versuchen, den Kindern Höflichkeit und Respekt zu vermitteln", sagte er. Vor vier Jahren hat sich Brügelmann selbst in Rente geschickt, wie er sagt. Doch nur zu Hause sitzen, kam nicht in Frage. Inzwischen trifft man ihn täglich beim Kindermittagstisch, wo er beispielsweise das Nachhilfeangebot des Vereins koordiniert. Ein Versicherungsunternehmen übernimmt die Kosten für den Unterricht.

18 Kinder nutzen diese Möglichkeit zurzeit. Wer unentschuldigt fehlt, riskiert einen Anruf von Helmut Brügelmann bei den Eltern. "Helmut, der Erpresser" nennen sie ihn deshalb auch. Brügelmann zuckt mit den Schultern. Damit kann er leben. Außerdem nimmt es ihm niemand wirklich übel.

Mit fünf Kindern in eineinhalb Zimmern

Ambra ist eines der Kinder aus der Hausaufgabenhilfe und schwärmt von ihrer Nachhilfelehrerin. "Weil sie so nett ist und mir manchmal was mitbringt." Außerdem isst Ambra jeden Tag nach der Schule in der Bertramstraße zu Mittag. "Am liebsten mag ich Makkaroni. Mit Soße", erzählt die Erstklässlerin. Ihre Mutter ist eine der ehrenamtlichen Helferinnen. Dabei kann sie selbst Hilfe gebrauchen. Mit ihren fünf Kindern ist Ambras Mutter aus Bosnien nach Köln gekommen. Die Familie lebt in eineinhalb Zimmern, die Hoffnung auf mehr Platz hat sich schon zwei Mal wieder zerschlagen.

Ibos Familie war lange in einer ähnlichen Situation wie die von Ambra. Die Wohnung, die Ibo, seine Eltern und seine sieben Geschwister schließlich fanden, liegt nicht in Kalk. Trotzdem kommt der 13-Jährige jeden Tag zum Essen hierher – und hat immer eine Einkaufstasche dabei. "Ibo kümmert sich um seine Geschwister und packt Lebensmittel für sie ein, damit sie versorgt sind", sagt Elisabeth Lorscheid. Sie legt dem Jungen kurz den Arm um die Schulter. "Du bist schon ein kleiner Erwachsener." Ibo lächelt schüchtern. Lob ist er nicht gewohnt. Schnell wendet er sich wieder seinen Freunden zu. Sie haben sich um den Kicker versammelt. Auch hier ist Ibo mit großem Ernst bei der Sache, organisiert seine Mitspieler, zählt die Tore.

Unterstützung für die Eltern hilft den Kindern

Vor der Tür hat sich inzwischen eine Gruppe von Eltern versammelt. Um halb drei winkt Elisabeth Lorscheid die Wartenden in den hinteren Raum durch. Es sind meist Frauen, die mit Taschen und Einkaufswägelchen anstehen, um Obst, Gemüse, Milchprodukte und andere Lebensmittel mitzunehmen. "Das ist unsere Garantie dafür, dass die Kinder auch am Wochenende zu Hause etwas zu essen bekommen", sagt Lorscheid. Überhaupt betrachtet ihr Team jede Unterstützung, die es den Eltern bietet, etwa bei der Wohnungssuche oder bei Behördengängen, als Hilfe für die Kinder.

All die Angebote aufrecht zu halten, fordert den Helfern viel Zeit und Kraft ab. "Man muss ja immer schauen, wo man was herkriegt", sagte Elisabeth Lorscheid. Ist genug da für das Mittagessen, für die Miete, den Strom? Die Sorgen werden nie weniger. "Es gibt doch so viele große Unternehmen", sagt Lorscheid. "Wenn jedes von ihnen jeweils ein Jahr lang ein Projekt wie unseres unterstützen würde, wäre es einfacher für alle." Die Kölnerin schaut sich im Raum um. "Wenn es um meine eigene Lebensqualität geht, müsste ich eigentlich alles hinschmeißen", sagt sie. Dann leuchten ihre Augen, als ein kleines Mädchen sich lachend in ihre Arme wirft. "Sehen Sie? Deshalb mache ich das hier."

Kommentare: 5

  • Ehrenamtlicher Vollzeitjob, das sagt vieles. Eine alternde Gesellschaft braucht neue, existenzsichernde Jobs da, wo jetzt noch fast ganztags ehrenamtlich geholfen und beraten wird. Es kann nicht sein, dass bestimmte soziale Bereiche nur ehrenamtlich und mit Spenden betreut und gesichert werden und andere Bereiche hauptamtlich relativ gut abgesichert werden, siehe u.a. Flüchtlingsbetreuung. Wir brauchen da Gleichberechtigung im sozialen Bereich, denn die Armut bei jungen und älteren Menschen wird zunehmen. Wir brauchen viel mehr existenzsichernde Jobs im sozialen Bereich, eine faire Bezahlung auch gerade im Vergleich zu anderen Berufen, dafür ist dieser Staat und die Politik verantwortlich und dazu müssen sich die genannten Mächtigen bekennen. Gruß- Uwe

  • Leider kann man auch mit guter Bildung oder bildungspolitischer Förderung NICHT seinen Anspruch auf Arbeit durchsetzen, man müsste dazu den Begriff Arbeit erweitern, überdenken, auch Arbeit mehr wertschätzen und existenzsichernd bezahlen, die heute nur ehrenamtlich oder auf geringfügiger Basis geleistet wird. Wir brauchen eine Aufwertung von Arbeit in den Bereichen Soziales-Pflege-Schulsozialarbeit-Bildungs-und Integrationsbegleitung- Weiterbildung, auch der Helfertätigkeiten in diesen Bereichen. Wir brauchen da ein Gleichstellung zu anderen, bereits jetzt gut bezahlten Berufen, damit hier auch mehr Menschen ihre Perspektive finden können. Daran scheitert heute vieles, obwohl in genannten Bereichen eigentlich viel Arbeit vorhanden ist, schon jetzt, das sind sogar zukunftsorientierte sichere Jobs. Hier müssen Politik, Staat und auch Wirtschaft recht schnell handeln, es gibt da genug Chancen, Ideen und Möglichkeiten. Es geht um Dienst am- für Menschen, viele Dienstleistungen. Gruß- Uwe

  • Ich sähe hier die Hilfe zur Selbsthilfe eher in der politischen Werteordnung der Familie als Kern einer Gesellschaft. Damit will ich diese Initiative nicht schlecht reden, doch ist sie im Grunde das Ergebnis aus Familienverhältnissen, die durch unsere Leistungsgesellschaft erst hervorgerufen werden und keine privaten Lösungsmöglichkeiten mehr finden können, wo sie im Grunde zwingend notwendig wären. Lebensgrundlagen so zu gestalten, dass man dafür nicht auf die staatliche Unterstützung oder eine organisierte Gemeinschaft angewiesen ist, das sehe ich als die politische Herausforderung, die heute hinter den wirtschaftspolitischen Ansprüchen unserer Gesellschaft verschwindet. Nur weil private Bedürfnisse immer mehr in den Vordergrund gerückt werden, bedeutet das nicht gleich, sie stünden an erster Stelle der gesellschaftspolitischen Anforderungsliste. Jeder einzelne sollte in die Lage versetzt werden, dass er durch bildungspolitische Förderung seinen Anspruch auf Arbeit durchsetzen kann.