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"Der Dialog ist eine große Chance"

Unter dem Titel "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" erarbeitete 2011 bis 2013 eine Enquete-Kommission des Bundestages ein neues Wohlstands- und Fortschrittsmaß. Daniela Kolbe war die Vorsitzende dieser Kommission. Im Interview sagt sie, warum Indikatoren abseits des BIP so wichtig sind und verrät, was für sie persönlich gutes Leben ausmacht.

Veröffentlicht:13.04.2015 Kommentare: 6

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Frau Kolbe, die Frage, wie man Lebensqualität messen kann, wird schon seit Jahrzehnten diskutiert. Aber erst jetzt scheint die Debatte an Fahrt zu gewinnen. Warum ist das so?
Daniela Kolbe: Die Enquete-Kommission wurde 2011 als Folge der Wirtschafts- und Finanzkrise ins Leben gerufen. Mittlerweile würde ich sagen, Deutschland ist sehr gut durch die Krise gekommen. Darauf können wir stolz sein. Aber andere Fragen sind noch nicht geklärt. Die ökologische zum Beispiel: Wirtschaften wir so, dass es vernünftig ist? Ist es der richtige Weg, immer auf höher, schneller, weiter zu setzen? Oder sollten wir nicht andere Aspekte wichtiger nehmen? Das sind Themen, die den Menschen spürbar unter den Nägeln brennen. Deswegen werden sie von der Bundesregierung zum richtigen Zeitpunkt noch einmal aufgegriffen.

Warum ist es so wichtig, Indikatoren zu entwickeln, die über das Bruttoinlandsprodukt hinausgehen?
D. K.: Wohlstand ist nicht eindimensional im BIP messbar, sondern hat viele Dimensionen. Wir leben in einer äußerst komplizierten Welt. Deshalb reicht es nicht zu sagen, wenn das BIP wächst, dann ist auch alles andere gut. Wir brauchen ein breiteres Wohlstandsverständnis.

Und genau deshalb hat ja die Enquete-Kommission 2013 einen Vorschlag für ein neues Wohlstands- und Fortschrittsmaß gemacht.
D. K.: Genau – den W3 Indikator. Wir haben damals versucht, die Komplexität des Themas zu erfassen und dann wieder zu vereinfachen. Dazu haben wir drei Dimensionen von Wohlstand identifiziert: Das sind einerseits Aspekte von materiellem Wohlstand und Verteilung, andererseits soziale Aspekte und Teilhabemöglichkeiten an der Gesellschaft. Die dritte Dimension ist die ökologische Nachhaltigkeit.

Wie knüpft die Regierungsstrategie "Gut leben in Deutschland – was uns wichtig ist" an die Arbeit der Enquete-Kommission an?
D. K.: Die zentrale Frage, was gutes Leben ausmacht, hat uns damals auch stark begleitet. Wir haben uns gefragt: Was ist Wohlstand in unserem Land? Wie wollen wir den gemeinsam erreichen? Welche Politikansätze gibt es? Was wünschen sich die Menschen? Einiges zu diesem Thema haben wir in unserem Abschlussbericht schon vorgeschlagen, zum Beispiel zum Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Außerdem haben wir dort nachhaltiges Wirtschaften ganz stark mit der Frage verknüpft, wie wir es schaffen, dass mehr Menschen gleichberechtigt an guter Arbeit teilhaben. Ich denke, dass das womöglich ein Anknüpfungspunkt für den Bürgerdialog ist. Und ich hoffe sehr, dass die ökologische Frage nicht zu kurz kommt, weil uns da große Herausforderungen bevorstehen.

Glauben Sie, dass sich mit Blick auf die aktuellen internationalen Konflikte die Themen im Bürgerdialog verschieben werden?
D. K.: Auf jeden Fall. Vieles von dem, was wir sicher geglaubt haben, erweist sich plötzlich als brüchig. Wir haben bei unserer Frage, wie wir Wohlstand definieren, die Demokratie als einen Indikator einbezogen. Aber den Frieden haben wir natürlich vorausgesetzt. Ich schätze schon, dass die aktuelle Lage viele Menschen verunsichert.

Was wünschen Sie sich für den Bürgerdialog?
D. K.: Ich wünsche mir sehr, dass dieser Dialog gelingt, weil ich mich freue, dass die Regierung so viel Offenheit signalisiert. Oft höre ich aus der Bevölkerung den Vorwurf: Ihr hört ja nie zu und macht Politik an uns vorbei. Ich denke, dass dieser Dialog deshalb eine große Chance ist.

Was macht für Sie persönlich gutes Lebens aus?
D. K.: Meist ist es ja so, dass einem erst dann auffällt, dass etwas fehlt, wenn es nicht mehr da ist. Das gilt auch für mein eigenes Leben. Bei mir ist es vor allem die Frage nach der Zeit. Zeit, die mir zur Verfügung steht, um sie mit Freunden oder der Familie zu verbringen oder um ein gutes Buch zu lesen. Muße zu haben, macht für mich Lebensqualität aus.

Kommentare: 6

  • Eine mehrdimensionale Sichtweise auf das Thema "gut leben" gefällt mir gut. Der Indikator "materieller Wohlstand" teilt sich meiner Auffassung nach jedoch in die eigenständigen Seiten "Wirtschaft" und "Körperschaft". Die soziale Seite ist eine tragende Säule für sich - da habe ich die gleiche Ansicht. Was mir fehlt ist die geistige Seite als eigenständige Kraft.

    Unsere Nachbarn(*) haben ihre Gesellschaft ähnlich aufgebaut: (1) Geistige Kraft, (2) Körper(schafts)kraft, (3) soziale Kraft, (4) Wirtschaftskraft. Dies scheint mit Grundstrukturen in unserem Universum konform zu sein, wo teils die (4) an den Anfang und die (1) ans Ende gestellt wird. Die vier Seiten/Aspekte/Kräfte müssen in sich in Balance gehalten werden, damit eine Gesellschaft funktioniert. Eine moderierende Kraft ist notwendig, um die vier Grundkräfte optimal zu synchronisieren. Dort ist auch das Anliegen "Erhaltung (Wächter) unseres Lebensraumes/Mutter Erde etwas Gutes tun" angesiedelt.

    (*) Sirius-B, 3./4. Planet

  • Zeit um sie mit Freunden zu verbringen oder mit der Familie ein gutes Buch lesen, dass hört sich ja alles ganz gut an aber wie ist die Wirklichkeit ? In den 60ger und 70ger Jahren arbeitete der Mann und konnte die Familie mit zwei Kindern ernähren, in Urlaub fahren usw. Heute müssen beide arbeiten und Urlaub war bei mir schon seit acht Jahren nicht mehr möglich. Angst beherscht unser Leben und das ist auch von unserer Regierung so gewollt. Nicht nur , dass absolut keine Sicherheit im Job möglich ist, die Medien schüren Kriegsängste und hetzen Links gegen Rechts, Arbeitslose gegen Flüchtlinge. Warren Buffet sagte es gibt nur einen großen Krieg auf der Erde und dass ist der Krieg Arm gegen Reich, und Reich wird ihn gewinnen.Leider hat er damit auch noch recht.

  • mir kommen die traenen - dichteste stereotypenkonzentration "von guter arbeit" ueber das "gute buch" bis zu "gut durch die krise gekommen"
    da kann ich nur noch wuenschen: "Gute Besserung!"