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Bodo wird gebraucht

Die Wohnungslosentagesstätte "Warmer Otto" in Berlin-Moabit ist ein Unterstützungsangebot für Menschen ohne Obdach. Aber nicht nur für sie. Der Warme Otto ist ein Treffpunkt für Menschen in ganz unterschiedlichen Lebenslagen. Hier zeigt sich: Es sind oft die kleinen Dinge, die gutes Leben ausmachen.

Veröffentlicht:13.04.2015 Schlagworte: Soziales Kommentare: 1

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Sein Anzug hängt im Schrank, ganz hinten in einer Ecke. Dieses Kleidungsstück gehört nur ihm, im Gegensatz zu allem anderen in der Kleiderkammer. Bodo betrachtet es stolz, seinen vielleicht wertvollsten Besitz. Dann verschließt er den Schrank sorgfältig und scheucht die letzten Besucher aus dem Raum, die noch die Kisten und Regale durchstöbern. Wie immer von Montag bis Donnerstag gegen halb fünf, wenn er in der Kleiderkammer Dienst hat. Bodo hat keine Wohnung. Streng genommen ist er obdachlos. Seit vielen Jahren schon. Aber er hat ein Zuhause: im Warmen Otto, einer Wohnungslosentagesstätte der Berliner Stadtmission.

Mittwochs ist es im Warmen Otto besonders voll. Anstelle der üblichen Suppe gibt es etwas Selbstgekochtes. Um Punkt eins strömen die Besucher in die Räume der Einrichtung in Berlin-Moabit. Man kennt sich, sitzt in den immer gleichen Konstellationen zusammen. Im Büro von Sozialarbeiter Mario Böhme füllt sich die Dusch-Liste. Er betreut die Einrichtung. Wäsche waschen, Schließfächer, Telefon und Computer, Beratung und Unterstützung beim Kontakt mit Behörden: Die Liste der Hilfsleistungen im Warmen Otto, der Kleinigkeiten für ein wenig mehr Lebensqualität, ist lang.

Treffpunkt und geschützter Raum zugleich

"Wir bieten ein sehr niedrigschwelliges Angebot", sagt Mario Böhme. Jeder ist willkommen, auch um einfach nur zu Mittag zu essen oder einen Kaffee zu trinken. Wer darüber hinaus Unterstützung braucht, bekommt sie. Nicht alle, die in den Warmen Otto kommen, sind obdachlos. Auch viele, die zwar eine Wohnung, aber nur wenig Geld haben, kommen regelmäßig – besonders am Ende des Monats. "Für die Menschen ist es wichtig, dass sie hier einen Treffpunkt haben", sagt Böhme. "Bei uns finden sie einen geschützten Raum."

Und dann ist da noch die Kleiderkammer, die Bodo ehrenamtlich verwaltet. Als Bodo zum ersten Mal in den Warmen Otto kam, hatte er noch eine Wohnung. 15, 20 Jahre ist das inzwischen her. Bald darauf verlor er sie. Bis heute schläft er im Wohnheim. "Wenn sie mich in der Bahnhofsmission am Zoo nicht brauchen", sagt er. "Da mache ich nämlich Nachtdienst." Am nächsten Mittag ist er dann wieder in Moabit, im Warmen Otto. Er holt Sachspenden ab, besorgt Büromaterial, hilft in der Küche aus. Immer in Bewegung, immer beschäftigt. Bodo wird gebraucht und wirkt zufrieden.

Nicht immer löst eine Wohnung das Problem

Mario Böhme kennt viele, die es wie Bodo vorziehen, im Wohnheim oder ähnlichen Unterkünften zu schlafen. "Als ich anfing, hier zu arbeiten, dachte ich: Wenn wir den Menschen eine Wohnung vermitteln, ist das Problem gelöst." Doch Böhme lernte schnell, dass die eigenen vier Wände längst nicht alles sind. "Nicht für jeden ist es so einfach, die Wohnung auch zu halten." Jeden Monat das Geld für die Miete pünktlich zu überweisen, sich um die Stromrechnung und Behördengänge zu kümmern – nicht alle sind dazu in der Lage. Aus den unterschiedlichsten Gründen. Psychische Erkrankungen und Alkoholprobleme sind nur zwei von vielen.

Da ist zum Beispiel Frank. Mitte der Neunziger verlor er seine Familie, seine Frau, die beiden Kinder. Alkohol betäubte die Trauer. Zu viel Alkohol brachte ihn auf die Straße. Lange kam er in Notunterkünften unter. Heute hat er wieder eine feste Bleibe. Im Moment arbeitet er als Hilfs-Hausmeister in einem Wohnheim. Es ist eine Beschäftigungsmaßnahme, die siebte seit 2001. Im Mai endet sein Vertrag nach einem halben Jahr wieder. Frank bedauert das, ihm gefällt die Arbeit. Sein Chef ist zufrieden mit ihm, doch bleiben kann er nicht. Die Regelungen sehen das nicht vor. Zwischen den Beschäftigungsmaßnahmen sammelt Frank Pfandflaschen, transportiert sie in dem überdimensionalen Korb, den er hinten auf seinem Fahrrad angebracht hat.

"Mir geht’s okay"

Jeden Mittwoch kommt Frank in den Warmen Otto. Das selbstgekochte Essen lockt auch ihn. Jetzt steht er auf dem Bürgersteig vor der Einrichtung. Die Sonne scheint, Frühling liegt in der Luft. Frank beobachtet die Straße. Sein hageres Gesicht, die Falten, die kaputten Zähne – sie lassen ahnen, dass es das Leben nicht immer gut gemeint hat mit ihm. Er lächelt. "Mir geht’s okay", sagt Frank, hebt die Hand und hält den Daumen waagerecht. "So wird es mir nie wieder gehen." Sein Daumen geht hoch. "Dazu müsste meine Familie wieder auferstehen. Aber da unten bin ich auch nicht mehr." Sein Daumen zeigt nach unten, geht dann wieder in die Mitte. "Mir geht’s okay."

Im Warmen Otto herrscht Aufbruchsstimmung. Das "Mensch ärgere dich nicht"-Spiel wandert zurück in den Karton, in der Küche wird geräumt, Stühle werden gerückt. Mario Böhme hat noch einem Besucher geholfen, die Bank anzurufen. Bodo kommt ins Büro, um sich zu verabschieden. Morgen um elf ist er wieder hier. Voller Energie und auf seinem angestammten Platz direkt an der Treppe zur Kleiderkammer.

Kommentar

Es sind die kleinen Dinge im Leben, die zählen, sagt man. Stimmen Sie dem zu? Und was macht für Sie persönlich Lebensqualität aus?

Kommentare: 1

  • Meiner Meinung nach, sollten Menschen ohne Obdach von der Gesellschaft wie Könige behandelt werden. Menschen ohne Obdach halten "Uns" Wohlhabenden den Spiegel vor. Meist sind Sie am Wohlstand gescheitert und am Konkrurenzkampf. Sie dürfen nicht Bevormundet werden !!! Ihnen muss Freiheit und Unabhängigkeit ermöglicht werden. Ihnen muss ein Selbstbestimmtes Leben ermöglicht werden. Sie brauchen eine "Heimat" und ein "Zuhause", sie brauchen "Sicherheit" und eine stabile äußere Strucktur. Anlaufstellen.

    Ein freundliches Wort und ein Euro sind schon viel Wert !!!