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Die Community fragt: Andrea Nahles antwortet

Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und Soziales, beantwortet Fragen aus der Community: Themen, die die Bürgerinnen und Bürger besonders bewegen, sind unter anderem das bedingungslose Grundeinkommen, Armut im Alter, die Wertschätzung sozialer Berufe oder Work-Life-Balance.

Veröffentlicht:13.10.2015 Kommentare: 9

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Andy_ fordert bessere Bezahlung für Erzieher und Erzieherinnen. "Wir brauchen Erzieher! Genau, deswegen machen wir die Ausbildung schwer. Keine Bezahlung während der Ausbildung und wenn man die insgesamt fünf Jahre geschafft hat, bekommt man einen geringen Lohn. Der Tarifstreit der Erzieher zeigt es gerade klar und deutlich." Warum macht Deutschland es den sozialen Berufen so schwer?

Andrea Nahles: Die Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern unterscheidet sich von der klassischen Ausbildung in einem Unternehmen, sie ist eine schulische Ausbildung und wird damit von den Bundesländern geregelt. Bei der schulischen Ausbildung wird meistens keine Ausbildungsvergütung gezahlt; Ausnahme sind bundesweit einheitlich geregelte Ausbildungsberufe wie z. B. Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger oder Altenpfleger. Auszubildende können aber grundsätzlich eine Ausbildungsförderung im Rahmen des "BAföG" erhalten.

Sandra78 fordert ein bedingungsloses Grundeinkommen. Damit gäbe es z. B. auch eine Chance, die ländlichen Regionen Deutschlands wiederzubeleben. Auch Rainers findet: "Die Einführung eines Grundeinkommens würde die Menschen von finanziellen Ängsten befreien. Wenn die Grundbedürfnisse gedeckt sind, dann werden die Menschen kreativ sein und mehr für die Gesellschaft leisten." Wie stehen Sie zum bedingungslosen Grundeinkommen?

Andrea Nahles: Das bedingungslose Grundeinkommen steht im klarem Widerspruch zu unserem solidarischen Sozialstaat, in dem Bürgerinnen und Bürger füreinander einstehen – Gesunde für Kranke und Pflegebedürftige, Junge für Alte, Arbeitende für Arbeitsuchende. Hinter unserem Modell der Sozialversicherung steht der Gedanke von Geben und Nehmen, der Gedanke also, dass man sich mit eigenem solidarischem Handeln den Anspruch erwirbt, selbst solidarische Unterstützung einzufordern. Man kann ein Sozialsystem nicht gegen das Gerechtigkeitsempfinden der Mehrheit der Bevölkerung organisieren. Wer erklärt denjenigen, die im Schweiße ihres Angesichts hart arbeiten, Steuern zahlen und mit ihrem Einkommen gerade so über die Runden kommen, dass Millionen Menschen staatliche Leistungen bekommen sollen, die sie gar nicht brauchen?

Verbesserungen bei der Rente

UwE meint: "In einem reichen Land wie Deutschland darf es keine Angst vor Altersarmut geben, Menschen dürfen für schlechte Bezahlung im Alter nicht doppelt bestraft werden." Schon jetzt sind eine halbe Million Senioren (Quelle) zusätzlich zur Rente auf staatliche Grundsicherung angewiesen, Tendenz steigend. Wie kann man die steigende Altersarmut stoppen?

Andrea Nahles: Fakt ist: Der breiten Masse der Älteren geht es finanziell gut. Nur rund drei Prozent der über 65-Jährigen sind auf Grundsicherung angewiesen. Richtig ist aber auch, dass Armut im Alter nicht akzeptabel ist. Den Kampf gegen Altersarmut werden wir jedoch nicht allein mit Rentenpolitik gewinnen. Das wirksamste Mittel gegen Altersarmut ist, durchgängig arbeiten zu können, in guter Arbeit zu einem anständigen Lohn und mit vernünftiger Altersvorsorge auch durch den Betrieb. Was wir als Staat tun können, haben wir in dieser Regierung bereits angepackt: Wir haben der Langzeitarbeitslosigkeit den Kampf angesagt, die Tarifpartner gestärkt, es erleichtert, Tarifverträge allgemeinverbindlich zu machen, und endlich für einen gesetzlichen Mindestlohn gesorgt. Der gilt und der wirkt!

Bundesbürger MeisterPlan spricht Sie im Bürgerdialog persönlich an und bittet, von Abschlägen bei der Erwerbsminderungsrente abzusehen: "Wenn aufgrund der Tatsache, dass man zu 100% erwerbsgemindert ist und nicht mehr arbeiten kann, von der ohnehin knappen Rente nochmals 10,8% abgezogen werden, ist das für Menschen wie mich, die immer in die Sozialsysteme einbezahlt haben eine unverständliche und nicht nachvollziehbare Ungerechtigkeit." Warum müssen Erwerbsminderungsrentner Abschläge hinnehmen?

Andrea Nahles: Die Abschläge wurden 2001 eingeführt und verhindern, dass die Erwerbsminderungsrente als günstigere Alternative zu einer vorzeitigen Altersrente genutzt wird. Denn diese kann nur mit Abschlägen in Anspruch genommen werden. Zeitgleich wurde im Gegenzug die Zeit, die nach Eintritt der Erwerbsminderung hinzugerechnet wird (die sogenannte Zurechnungszeit), ausgeweitet. Damit werden die Abschläge weitgehend kompensiert. Mit dem Rentenpaket aus dem letzten Jahr wurde der Erwerbsminderungsschutz nochmals spürbar verbessert.

Arbeitszeiten und Urlaubstage

Eltern mit Kindern fordern mehr gesetzlichen Urlaub: Bis zu 30 Tage im Jahr. "Gerade Arbeitnehmer mit Kindern haben erhebliche Probleme, die Kinder während den Ferien zu betreuen, da selbst Mutter und Vater zusammen schon nicht so viel Urlaubstage aufbringen können, wie es Ferien gibt.", sagt T.H.25. Stimmen Sie zu, und ist diese Menge an Urlaubstagen umsetzbar?

Andrea Nahles: Das Bundesurlaubsgesetz legt für erwachsene Arbeitnehmerinnen und Arbeit-nehmer einen gesetzlichen Urlaub von mindestens vier Wochen fest. Viele Menschen in Deutschland haben darüber hinausgehende Urlaubsansprüche, die sich aus ihrem Arbeitsvertrag oder einem anwendbaren Tarifvertrag ergeben. Um berufstätigen Eltern die Kinderbetreuung auch in der Ferienzeit zu ermöglichen, erleichtern neben institutionellen Betreuungsangeboten wie Ganztagsschulen und Hortbetreuung vor allem zivilgesellschaftlich organisierte oder betriebliche Angebote die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Die Work-Life-Balance ist für viele noch zu unausgeglichen. Tappiti sagt: "Wenn Arbeit aber immer prekärer wird durch befristete Verträge, sinkende Einstellungsgehälter und steigende Arbeitswegzeiten, wird eine ausgeglichene Work-Life-Balance immer schwieriger."

Andrea Nahles: Die Attraktivität eines Arbeitsplatzes bemisst sich auch immer stärker daran, ob Raum und Zeit für ein Leben außerhalb des Büros oder des Betriebes bleiben. Neue Arbeitsformen und Geschäftsmodelle dürfen aber nicht dazu genutzt werden, um Arbeits- und Sozialstandards nach unten zu drücken. Moderne Arbeitsformen (wie z. B. flexible Arbeitszeitmodelle oder Home-Office) in einer entsprechenden Unternehmenskultur leisten hierzu wichtige Beiträge, das wird beispielsweise auch durch Änderungen im Pflegezeitgesetz und im Familienpflegezeitgesetz unterstützt. Grundsätzlich muss Arbeit vernünftig vergütet werden und verlässlich ausgeübt werden können. Hierzu tragen die geplanten Regelungen gegen den Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen ebenso bei wie die Einführung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns, mit dem wir dem gnadenlosen Lohndumping ein Ende gesetzt haben.

Das sei laut Klaus W. auch so, weil es der Großindustrie gelinge, "durch Zielvereinbarungen Arbeitszeitregelungen zu unterlaufen." Er sieht darin Ehen und Beziehungen in Gefahr, die "zerbrechlich [sind], wenn ihnen nicht Raum und Zeit gegeben wird." Gibt es eine Möglichkeit, in der ständig wachsenden Wirtschaft geregelte Arbeitszeiten zu schaffen, an die sich alle Arbeitgeber halten?

Andrea Nahles: Es gibt mit dem Arbeitszeitgesetz einen verbindlichen Rahmen für die Gestaltung der Arbeitszeit; hier sind Höchstarbeitszeiten, Mindestruhezeiten und Pausen genau geregelt. Der Arbeitgeber hat für die Einhaltung des Gesetzes zu sorgen, z. B. auch bei Vertrauensarbeitszeit. Das wird durch die Arbeitsschutzbehörden der Länder (z. B. Gewerbeaufsicht, Amt für Arbeitsschutz) überwacht, an sie können sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wenden, wenn ihr Arbeitgeber die gesetzlichen Regelungen nicht einhält.

Selbstverständlicher Umgang mit Menschen mit Behinderung

Das Ziel der Inklusion wird oft befürwortet, deren Umsetzung aber bemängelt. "In den Gesamtschulen gibt es sowieso schon große Schwierigkeiten die unterschiedlich begabten Schüler passgenau zu fördern", sagt Nutzer jue. Sabine mueller hält Wohnheime und Werkstätten für "veraltete Konzepte". Sie fordert ein persönliches Budget für Menschen mit Behinderungen, "mit dem Betroffene selbst Maßnahmen und Helfer aussuchen und entscheiden was sie brauchen und wie es umgesetzt werden soll." Wie sieht die Zukunft der Inklusion in Deutschland aus?

Andrea Nahles: Ich möchte erreichen, dass viel selbstverständlicher und öfter Menschen mit Behinderungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt dabei sind. Inklusion, Teilhabe – das heißt auch Teilhabe an Arbeit. Der Nationale Aktionsplan ist das politikfeldübergreifende Instrument der Bundesregierung, um mit konkreten, rechtlichen wie praxisbezogenen Maßnahmen auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft schneller voranzukommen. Ich stehe im regelmäßigen Austausch mit den Ländern über den Nationalen Aktionsplan wie über Aktionspläne in den Ländern und weitere Maßnahmen zur Herstellung eines barrierefreien Lebens eine Chance auf die Entwicklung kluger Konzepte zur Inklusion.

Mehr Unterstützung für Berufseinsteiger und Arbeitnehmer

Bürger und Bürgerinnen wie Kanga fragen sich: Ist Arbeit Luxus? Viele Berufseinsteiger haben es schwer, schnell einen sicheren Arbeitsplatz zu finden, obwohl sie eine Ausbildung oder ein Studium absolviert haben. Praktika, Werkstudenten-Tätigkeiten, befristete Stellen sind oft jahrelanger Alltag. Das könnte auch ein Grund für die niedrigen Geburtenraten in Deutschland sein: Akademikerinnen brauchen zu viel Zeit, in der Arbeitswelt Fuß zu fassen, und entscheiden sich oft gegen Kinder. Wie können Sie Akademikern den Berufseintritt erleichtern?

Andrea Nahles: Viele machen die Erfahrung, dass eine gute Ausbildung kein Garant mehr für eine schnelle Entfristung des Arbeitsvertrages ist. Das bedeutet Unsicherheit in der Lebens- und oft auch in der Familienplanung. Aber in den letzten Jahren haben sich die Chancen auf eine unbefristete, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung weiter erhöht. Gerade Akademikerinnen und Akademiker haben gute Aussichten auf dem Arbeitsmarkt. Die Neuregelungen zu Praktika und die geplanten Maßnahmen gegen den Missbrauch von Werkverträgen tragen dazu bei. Mit dem ElterngeldPlus unterstützt die Bundesregierung einen frühen beruflichen Wiedereinstieg und eine partnerschaftliche Vereinbarkeit von Familie und Beruf: Eltern, die während des Elterngeldbezugs in Teilzeit wieder in den Beruf einsteigen, erhalten länger finanzielle Unterstützung und gewinnen so Zeit für die Familie. Eine partnerschaftliche Arbeitsteilung wird über den sogenannten Partnerschaftsbonus gefördert.

Finanzielle Sicherheit ist ein großes Thema. 8,50 Euro Mindestlohn sind noch nicht genug, sagt Nutzer TolleAktionHier. Saarländerin dagegen schreibt: "Der Mindestlohn hat alles kaputt gemacht." Einig sind sie sich aber darin,dass für ein gutes Leben faire Löhne und sichere Arbeitsplätze notwendig sind. Wie kann die Bundesregierung Arbeitnehmer weiter unterstützen?

Andrea Nahles: Der Mindestlohn beträgt zunächst 8,50 Euro. Er wird jedoch in Zukunft regelmäßig von der Mindestlohnkommission geprüft und, wenn nötig, angepasst. Dabei wird die Mindestlohnkommission im Rahmen einer Gesamtabwägung auch prüfen, welche Höhe des Mindestlohns geeignet ist, Beschäftigung nicht zu gefährden. Der Mindestlohn sorgt dafür, dass die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gestärkt werden und verhindert im Interesse der Arbeitgeber unlauteren Wettbewerb durch Dumpinglöhne.

Kommentare: 9

  • Das ich das noch erlebe! Jetzt muss ich Andrea Nahles auch mal loben. (Ja, ich bin hart aber gerecht.) Ihre Einstellung zum bedingungslosen Grundeinkommen (hört sich schon an wie: bedingungslose Kapitulation) ist fair und sachlich richtig - deshalb hier nochmal zitiert:

    "Wer erklärt denjenigen, die im Schweiße ihres Angesichts hart arbeiten, Steuern zahlen und mit ihrem Einkommen gerade so über die Runden kommen, dass Millionen Menschen staatliche Leistungen bekommen sollen, die sie gar nicht brauchen?"

    Bravo! Aber seien Sie versichert - irgendwann, in nicht all zu ferner Zukunft, wird sich auch ein geschickter Gebrauchtwagenverkäufer finden, der dem Volk diese Schrottidee verkauft. Mit Schrottimmobilien und Schrottstaatsanleihen klappt's ja auch. Hier gilt das Prinzip: Gewinne privatisieren - Verluste sozialisieren. Wenn es dort funktioniert, dann ...

    ... und UwE glaubt ja schon fest daran ...

  • Ich wünsche mir einen offenen Arbeitsmarkt, der nicht staatlich unterstützt werden muss, um Menschen in Arbeit zu bringen. So wie das heute läuft, so läuft es wohl am Bedarf vorbei oder aber der Bedarf stellt gar nicht die Anforderungen sondern das Kapital lenkt die Unternehmenskultur. Bei 8,50 Euro Mindestlohn frage ich berechtigt nach der Differenz zu einem Manager Jahresgehalt. Denn verantwortlich handeln diese Menschen nicht, andernfalls gäbe es keine Betrugsdelikte, die Skandale genannt werden. Sei es in Großfirmen aber auch bei den Banken, immer und überall rechtfertigt Kapital, den verantwortungslosen Umgang mit dem Vertrauen der Bevölkerung. Das in Arbeit gesetzte Vertrauen mißbrauchen sie, um ihre Kompetenzen für die Anhäufung privater Vermögen zu nutzen und dabei meist ihre Mitarbeiter auszunützen. Politik sollte sich für eine gerechte Finanzierung von Jungunternehmern einsetzen und dafür die Banken in die Pflicht nehmen. Auch gerechte Gewinnverteilung ist Sache der Politik.

  • Wertschätzung sozialer Berufe, ich habe es seit 2000 direkt und indirekt erlebt, die merkt man kaum, eher nicht bei der Bezahlung. Dazu sind leider viele Jobs atypische Beschäftigungsverhältnisse. Man hilft anderen und hat selber kaum berufliche Zukunft, besonders im Bereich der Bildungsträger. Auch jetzt bei der Flüchtlingsbetreuung geht es da nicht gerecht zu, Helfer werden zu wenig wertgeschätzt, auch dann hauptamtlich bezahlt, die Arbeitszeiten sind oft unmöglich, 12 Stunden täglich Jobs mit der bekannten Belastung. Man setzt einfach vieles voraus, an Engagement und inneren Willen der Leute. Hier muss sich noch mehr tun, im Sinne auch der Gerechtigkeit zwischen Berufen und Tätigkeiten. Ohne soziale Berufe kann eine Gesellschaft nicht leben. Gruß- Uwe