"Das Größte an Deutschland sind seine Dialekte"
Was bedeutet gutes Leben für Menschen in Ost und West? Sabine Weiß aus Jena und Alf Keilen aus Trier, Stadtführer in ihren Heimatstädten, haben geantwortet.
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Quelle: Sabine Weiß/Gerd Keilen/Montage Bundesregierung
83 Prozent der Menschen in Westdeutschland und 77 Prozent der Menschen in Ostdeutschland sind mit ihrem Leben zufrieden. 25 Jahre nach der Wiedervereinigung wachsen Ost und West damit immer weiter zusammen. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie des Zentrums für Sozialforschung in Halle. Aber was bedeutet gutes Leben konkret für Menschen in Ost und West? Sabine Weiß aus Jena und Alf Keilen aus Trier sind Stadtführer in ihren Heimatstädten und haben unseren Fragebogen zum Thema Lebensqualität ausgefüllt.
Diplom-Ingenieurin und Fremdsprachenkorrespondentin Sabine Weiß ist Gästeführerin im thüringischen Jena.
Quelle: Sabine Weiß
An welchem Ort in Ihrer Region empfinden Sie besondere Lebensqualität?
Ich fühle mich in meiner Heimatstadt Jena wohl. Wenn ich unseren Gästen von ihrer spannenden Geschichte erzählen kann und das damit verdiente Geld zur Deckung der anfallenden Lebenskosten reicht, vielleicht ab und zu noch eine kleine Reise in eine geschichtlich mit Jena verwandte Stadt drin ist, bin ich zufrieden.
Auf welche drei Dinge für Ihre persönliche Lebensqualität möchten Sie nicht verzichten?
Den Kontakt zu Menschen; die freie kreative Arbeit; Zeit für die wirklich wichtigen Dinge im Leben, wie die Suche nach der Wahrheit
Wem wünschen Sie ein gutes Leben?
Zunächst natürlich meinen beiden Söhnen, aber auch all den anderen jungen Leuten, die so hoffnungsvoll in die Zukunft schauen.
Wie tragen Sie zu gutem Leben in Deutschland bei?
Durch mein Ehrenamt und indem ich versuche bei all meinen Tätigkeiten auf den Schutz der Umwelt zu achten.
Welche Aspekte von Lebensqualität zeichnen Deutschland insgesamt und speziell Thüringen besonders aus?
Die Vielfalt an Möglichkeiten, sich selbst zu verwirklichen. Beispielsweise habe ich nach erfolgreicher Beendigung meiner Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin ein mehrmonatiges Praktikum in Großbritannien finanziert bekommen.
Wo gibt es Ihrer Ansicht nach Verbesserungspotenzial?
Ich finde, dass die bürokratischen Hürden manchmal etwas hoch sind und innovative Ideen im Ansatz ersticken lassen.
Der Geograf Alf Keilen führt Gäste durch seine Heimatstadt Trier in Rheinland-Pfalz.
Quelle: Gerd Keilen
An welchem Ort in Ihrer Region empfinden Sie besondere Lebensqualität?
Natürlich in Trier selbst, keine Frage! Hier fühle ich mich wohl, weil meine Familie hier lebt; weil ich hier arbeite und den größten Teil meiner Freizeit hier verbringe; weil ich die Stadt sehr gut kenne und dennoch immer wieder Überraschendes erlebe. Hier paart sich die moselländische Lebensqualität mit dem sympathischen Laissez-faire Frankreichs. In Trier bin ich mitten drin in meinem Europa. Ich fahre nach Metz zum Einkauf, besuche Freunde in Luxembourg, bin in drei Stunden an der holländischen Küste oder in Paris! Was will man mehr? Die Trierische Lebensqualität wird aber auch geprägt durch die 2.000-jährige Geschichte. Dem Motto "Wir waren immer mittendrin – im Weltgeschehen – und sind uns trotzdem treu geblieben!" Mit Geschichte leben und Geschichte erleben. Wo kann man das besser, als in Trier?
Auf welche drei Dinge für Ihre persönliche Lebensqualität möchten Sie nicht verzichten?
- Auf meine Wohnung in toller Wohnlage direkt an der Mosel und dennoch mitten in der Stadt Trier, von der aus ich in 15 Minuten zu Fuß (!) im Wald sein kann!
- Auf die vielen nahen Versorgungs- und Freizeitangebote, die ich alle ohne Aufwand und ohne Auto erreichen kann!
- Auf mein Büro im Haus, dass ich jederzeit betreten und verlassen kann.
Wem wünschen Sie ein gutes Leben?
Allen. Allen, die ich kenne. Allen, die ich mag.
Wie tragen Sie zu gutem Leben in Deutschland bei?
Auf dreierlei Weise:
- In dem ich mich einbringe; meine Beruf gewissenhaft ausübe und meine Steuern bezahle.
- In dem ich neben meinem Beruf als Stadtführer und Gästebegleiter vielen Menschen mein Trier kurzweilig und lustig näher bringe.
- In dem ich meinen Kindern eine offen kosmopolitische und tolerante Lebensart vermittle.
Welche Aspekte von Lebensqualität zeichnen Deutschland insgesamt und speziell Rheinland-Pfalz besonders aus?
Deutschland macht es sich nicht leicht! Deutschland wägt ab, diskutiert, föderalisiert, hört an und entscheidet spät! Aber nie zu spät! Es ist ein Zeichen von politischer und gesellschaftlicher Reife, dass das Für und Wider rauf und runter diskutiert wird. Bis das letzte Argument von allen verstanden und einsortiert ist. Das ist unsere spezielle quälende Lebensqualität. Unverzichtbar anstrengend und unverzichtbar befriedigend!
Die Rheinland-Pfälzer paaren diese urdeutsche Eigenschaft mit der französischen Lebensart: der Lebensfreude, der Weinseligkeit, der Geselligkeit, dem Schlendrian! Unser Schlendrian ist vielleicht unser höchstes Gut. Ein Hoch der Unvollkommenheit, ein Hoch dem Halbwissen, ein Hoch dem Verzeihen und Vergeben.
Vor allem zeichnen uns im Südwesten unsere Dialekte aus! Trierisch – himmlisch! Nirgends ist man so daheim wie da, wo man die gleiche Sprache spricht. Das Größte an Deutschland sind seine Dialekte! Wahnsinn, dass man überall gleich weiß, wo man sich befindet. Diese dialektale Vielfalt wird nur noch von der Wurst, dem Bier, dem Wein und dem Brot getoppt! Meine höchste Lebensqualität misst sich in der Vertrautheit des Dialektes!
Wo gibt es Ihrer Ansicht nach Verbesserungspotenzial?
Verbesserungspotenziale gibt es immer und überall! Das ist eine preussische Tugend! Keine rheinländische! Wenn ich was zu verbessern hätte, dann in der Schärfung der regionalen Identität! Und die reicht einfach über die Grenzen in die Nachbarländer Frankreich und Luxemburg. Die gilt es aufzuwerten. So lange bis die nationalen Grenzen verschwunden sind! Ein Traum?
Kommentare: 1
Umfrageergebnisse sind oft unterschiedlich, habe neulich gelesen, Ost und West können eigentlich nie zusammen wachsen, es gibt da immer noch Unterschiede, besonders auch in der Bezahlung von Jobs. Selbst in Konzernen und AG´s gibt es da noch beträchtliche Unterschiede, für gleiche und noch mehr Arbeit bekommen hier Menschen weniger Geld als dort. Das mag Traditionen haben, aber 25 Jahre nach der Einheit sollte man mal überlegen, ob diese Unterschiede immer noch gerechtfertigt sind. Wenn man von dieser Thematik betroffen ist, wird auch die Lebensqualität damit beeinträchtigt. Man kann das nicht immer ausblenden und betonen "es geht uns doch super, anderen geht es schlechter auf dieser Erde". Demut plus Bescheidenheit plus ehrliche Diskussionen zu Problemen und Ungerechtigkeiten dieser Gesellschaft, Wirtschaft und Politik würde vieles erleichtern. Gruß- Uwe