Gespräche über die Zukunft im ländlichen Raum
Zu seinem zweiten Bürgerdialog reiste Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, in die Gemeinde Deggenhausertal im Bodenseekreis. Schwerpunktthemen waren hier unter anderem bezahlbarer Wohnraum, Umweltschutz, Infrastruktur und Bildung.
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Quelle: Photothek/Maskus/BMEL
Bei der zweiten Station seines Bürgerdialogs "Gut leben auf dem Land – was uns wichtig ist" hat der Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Christian Schmidt, am Donnerstag die Gemeinde Deggenhausertal im Bodenseekreis besucht. Ehe ihn Bürgermeister Knut Simon bei einem Ortsrundgang durch Wittenhofen, den zentralen Ortsteil der Gemeinde, über die Themen Nahversorgung, Wohnraum und öffentlicher Personennahverkehr ins Bild setze, besuchte der Minister die Firma Sonett im Ortsteil Deggenhausen.
Minister besucht lokales Unternehmen
Das Unternehmen produziert Waschmittel und Seifen aus nachwachsenden Rohstoffen aus biologischem Anbau und exportiert seine Produkte in mehr als 40 Länder weltweit. Die beiden Geschäftsführer Beate Oberdörfer und Gerhard Heid führten durch die Produktionshallen und erläuterten die anthroposophisch geprägte Unternehmensphilosophie. Teil des Konzeptes ist die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung vom benachbarten Lehenhof, einer Camphill-Lebensgemeinschaft. Von der für die Qualitätssicherung zuständige Chemikerin Saskia-Marjanna Schulz wollte der Minister wissen, woher Sonett sein Palmöl bezieht (Antwort: aus einer Biokooperative in Kolumbien) und lud Sonett ein, am Forum Nachhaltiges Palmöl (FONAP) teilzunehmen, einem vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) geförderten Projekt.
Gäste erarbeiten zentrale Themen für Dialog
Im Veranstaltungssaal der freiwilligen Feuerwehr bereiteten derweil 23 Bürgerinnen und Bürger in einem Workshop Fragen und Anregungen an den Minister vor. Zum Workshop eingeladen worden waren ganz gezielt Bürgerinnen und Bürger, die insgesamt einen repräsentativen Querschnitt der Gemeinde bilden. Als Experten des täglichen Lebens ihrer Gemeinde hatten sie Gelegenheit, ihre Sorgen und Hoffnungen, aber auch ihre Zukunftsvorstellungen eines Lebens im ländlichen Raum Christian Schmidt vorzustellen.
Unter den Leitthemen
- "Gut leben auf dem Land bedeutet für mich"
- "Besondere Freude habe ich in unserer Gemeinde an"
- "Diese ‚Dinge‘ sollte mein Traum-Ort haben"
- "Besondere Herausforderungen und Aufgaben, die ich für unseren Ort und unsere Region sehe"
- "Das brauche ich in Zukunft (5/10/20 Jahre), damit ich hier gut leben kann"
erarbeiteten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer als zentrale Handlungsfelder die Themen "bezahlbarer Wohnraum", "Natur: Ökologie & Ökonomie", "Infrastruktur, insbesondere Mobilität & Internet" und "Bildung".
Bessere Vermarktungschancen für regionale Erzeugnisse schaffen
Die wichtigsten Ergebnisse des Workshops wurden anschließend dem Minister vorgetragen. Schmidt übernahm dabei den zuhörenden Part. Es folgte ein engagierter Dialog der Bürgerinnen und Bürger, in den sich der Minister, aber auch die lokalen politischen Autoritäten nur punktuell einschalteten. Der Bio-Landwirt Norbert Steidle wünscht sich ein stärkeres Bemühen um die Gründung bzw. Stärkung von Erzeugergemeinschaften, um bessere Vermarktungschancen für regionale Erzeugnisse zu schaffen. "Sonst haben wir gegen die Großmaßstabs-Landwirtschaft aus dem Norden langfristig keine Chance", erklärte Steidle und stellte aber auch klar: "Wir wollen solche Riesenställe und Riesenmastanlagen hier aber ja auch gar nicht." Vielmehr gehe es darum, auch durch Lernpädagogik die Wertschätzung für die Landwirtschaft wieder zu steigern. Eine Teilnehmerin brachte die Idee von Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaften auf. Denn hinter einem landwirtschaftlichen Betrieb müsse eine größere Gruppe von Menschen stehen, damit dieser getragen werde. "Da braucht es Leute, die verstehen, dass die Produkte mehr kosten, wenn die Ernte lausig war, und sie dann trotzdem kaufen." Minister Schmidt pflichtete ihr bei: "Ein Landwirt kann natürlich ganz anders planen, wenn er weiß, dass sein Absatz gesichert ist."
Bürokratieabbau beim Denkmalschutz gewünscht
Um dem Mangel an bezahlbarem Wohnraum zu begegnen, forderte ein Teilnehmer einen Bürokratieabbau beim Denkmalschutz und weniger staatliche Regulierung im Bauwesen. Mit den dadurch eingesparten Geldern könne man Wohnprojekte finanzieren, insbesondere für junge Familien. Zur Erhöhung der Mobilität sprach sich ein junger Teilnehmer für eine Überarbeitung des "EMMA"-Konzeptes aus. EMMA ist ein Elektrokleinbus, der auf telefonische Anfrage eine feste Linie fährt. "Zu unflexibel, zu wenige Haltestellen", urteile er. "Denn wenn EMMA nicht zur Oma an den Weiler kommt, dann fährt Oma auch nicht EMMA."
Eine Lehrerin machte deutlich, dass gute Bildungsangebote zunehmend zum Standortfaktor würden. "Da müssen sich die Kinderbetreuungs- und Bildungseinrichtungen noch stärker als bisher an die Bedürfnisse der Schüler und der Eltern anpassen. Wir werden den Eltern auch mehr Teilhabe an Entscheidungen bieten müssen." Zur Flankierung der Bildungsarbeit regte sie an, das kulturelle Angebot in der Gemeinde zum einen bekannter zu machen, zum anderen nach Möglichkeit zu erweitern – etwa durch Theatergastspiele.
Schmidt nimmt zahlreiche Themen mit nach Berlin
Auf die konkrete Frage der Moderatorin, was Bundesminister Schmidt in seinem Koffer mit nach Berlin nehme, nannte er das Wissen um die Bedeutung von guten Bildungseinrichtungen als Standortfaktor, von Angeboten des öffentlichen Personennahverkehrs – insbesondere für junge und alte Menschen ohne Auto auf dem Lande – sowie von Herkunftsbezeichnungen für die Regionalvermarktung von Lebensmitteln. "Mit Labels, die von weit weg her kommen, ist es nicht getan", um das Vertrauen der Verbraucher zu gewinnen, erklärte Schmidt.
Deggenhausertal ist einer von zehn Dialogorten des BMEL. Die Gemeinde Deggenhausertal liegt mit ihren sechs Ortsteilen im Hinterland des Bodensees. Sie hat gut 4.000 Einwohner und ist mit 65 Einwohnern pro Quadratkilometer relativ dünn besiedelt, verzeichnet allerdings ein deutliches Bevölkerungswachstum. Deggenhausertal wurde als Dialogort im Bodenseekreis ausgewählt, weil die Gemeinde typisch für die Region und ihre Zukunfts-Herausforderungen ist, nicht direkt im Verdichtungsbereich am Bodensee, sondern noch stärker dörflich geprägt ist.
Im Rahmen des Bürgerdialogs der Bundesregierung sieht sich Bundesminister Schmidt als Fürsprecher des ländlichen Raumes. Er wird in den kommenden Monaten in sehr unterschiedlichen Regionen Bürgerdialoge führen, um aus erster Hand zu erfahren, wo die Stärken und Schwächen der jeweiligen Region liegen. Der Blick in die Zukunft und die ehrliche Analyse der Gegenwart sind Grundlage, um ländliche Regionen als gute Lebens- und Wirtschaftsräume auch für die kommenden Generationen zu erhalten.
Kommentare: 3
Man wird Ärzte gewinnen oder holen aus dem Ausland, aber die verstehen oft nicht die deutsche Patientensprache, latainisch ist ja überall ähnlich und gleich. Das wird das Problem werden, wenn man nur auf ausländische Mediziner baut, sich da Lösungen erhofft. Hier muss viel getan werden, viele Berufsgruppen und deren Inhaber- Chefs werden alt, wollen auch mal das Alter genießen, ohne Arbeit, da sind neben Ärzten noch viele andere berufsgruppen als Dienstleister für UNS ALLE betroffen, gerade in ländlichen Regionen. Gruß- Uwe
Ich lebe gerne in einer ländlichen Umgebung; wir haben auch ein ungewöhnlich gute Infrastzruktur. Sorgen mache ich mir aber dennoch. Jetzt bin ich 63 Jahre, relativ gesund, was ist aber in 10 Jahren? Unsere durchweg älteren Ärzte - 3 völlig überlastet, da für das kpl. Einzugsgebiet zuständig - werden aufhören. Was ist dann? Die nächsten Ärzte sind 35 km entfernt. Ist es nicht traurig, dass es keien Anreize gibt für junge Ärzte, dass diese Reform von Ulla Schmidt verhindert, dass junge Ärzte Interesse haben, sich als Allgemeinmediner niedezulassen?
Bitte, liebe Politiker, gerade in oft herrliche, landschaftlich schöne, aber strukturschwache und abgelegenen Regionen muss in Sachen Zukunft viel investiert werden, damit diese nicht weiter abgehängt werden oder die Menschen dort zu wenig oder keine Zukunft sehen, vor allem nicht beruflich und schulisch. Man muss die Menschen dort halten, sonst vergreisen ganze Landschaften. Die verschiedenen Dienstleistungen müssen da viel näher an die Menschen heran gebracht werden, der Nahverkehr bequem und dicht gesichert und angeboten werden, auch gerade im Interesse von Umwelt- und Klimaschutz sowie der oft erwähnten Energiewende. Gruß- Uwe