"Ein gutes Leben kennt auch die Krise"
Matthias Horx ist Trend- und Zukunftsforscher und Leiter des Zukunftsinstituts in Frankfurt und Wien. Im Interview spricht er über die erhöhte Angst vor der Zukunft, die er beobachtet, und den Zusammenhang von gesellschaftlichen Veränderungen und Werten.
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Quelle: Klaus Vyhnalek
Was ist für Sie gutes Leben, Herr Horx?
M. H.: Als Zukunftsforscher habe ich als Hobby das Gärtnern. Ein Gärtner ist unentwegt mit der Zukunft verbunden, weil es ihm immer um das Wachsen und Werden geht. Aber in einem Garten ist nichts perfekt: Die Schnecken fressen den Salat, die Hortensien kümmern. Wenn man es mit dem Maßstab der Perfektion misst, ist Gärtnern eine Pleite. Ebenso ist gutes Leben nicht immer und ausschließlich Glück. Ein gutes Leben kennt auch die Krise, den Zweifel. Ein gutes Leben hat als Ziel die Selbstkompetenz und die Achtsamkeit. Und das “In-der-Welt” sein, was vor allem die lebendigen Beziehungen zu anderen Menschen bedeutet.
Welche drei Trends sind zurzeit die wichtigsten in Deutschland?
M. H.: Es fällt mir schwer, hier eine Hierarchie der Trends zu verkünden. Die Urbanisierung ist ebenso wichtig wie die Digitalisierung, der Megatrend Frauen nicht unwichtiger als die Globalisierung: Es kommt auf den Kontext an. Für einen Krebspatienten ist vielleicht der Trend zu Bioengineering – und damit die Chance auf neue Heilungsmethoden – am wichtigsten. Man könnte derzeit höchstens als akuten Stimmungstrend oder Zeitgeist eine erhöhte Bereitschaft zu Panik und Paranoia diagnostizieren. Viele Menschen haben eine erhöhte Angst vor der Zukunft. Das liegt einerseits in einer bizarren Über-Konkurrenz der Medien, die um negative Meldungen konkurrieren. Angst ist ein gutes Geschäft. Andererseits haben wir unverstandene und unkommunizierte Modernisierungs-Prozesse: Die Arbeit verändert sich, die Technologien, die Familienstrukturen, die Wohlstandsverteilung der Welt. Bei all diesen Wandel-Prozessen gibt es aber nicht nur Risiken, sondern auch Möglichkeiten und Chancen, über die viel zu wenig bekannt ist.
Werden sich die Ziele und Werte der Menschen in Zukunft verändern? Und wenn ja, wird sich auch das Verständnis von Lebensqualität ändern?
M. H.: Werte sind im Grunde Regeln, die im Laufe einer historisch-kulturellen Entwicklung entstanden sind, und die den Umgang der Menschen untereinander konfliktfreier machen sollen. Sie verändern sich mit den Kultur- und Ökonomieformen. Man denke daran, wie schnell sich das Verhältnis zur Homosexualität in breiten Schichten geändert hat. Toleranz ist ein Merkmal von Wohlstandsgesellschaften, in denen Individualität gelebt werden kann. Heute diffundieren die postmateriellen Werte in breitere Schichten der Bevölkerung hinein. Nachdem der materielle Sattheitsgrad weitgehend erreicht ist und Individualismus gelebt werden kann, suchen die Menschen nach neuen Horizonten und Rück-Verbindlichkeiten. Es entstehen neue soziale Bewegungen, die Individualität und Gemeinschaft re-kombinieren. Man denke an das Urban Gardening oder das Co-Working, den Veganismus, die Share Economy. Diese vielfältigen Formen des Engagements bleiben leider meistens unsichtbar, weil der Protest und der Zorn gegen alles Mögliche eben viel lauter ist.
Mitmachen und partizipieren: Wollen die Menschen das oder werden sie lieber in Ruhe gelassen?
M. H.: Menschen sind taktische Opportunisten. Wir versuchen immer, unsere Optionen zu optimieren und gleichzeitig gut auszusehen. Es gibt leider in Deutschland auch eine tiefsitzende Tradition des Autoritarismus, die allzugleich in einen trotzigen “Frustrationismus” umkippt. Dahinter steht aber auch ein Mangel an Selbstverantwortung. Das zeigt sich in zunehmenden trotzigen, nörgeligen bis dumpfen Verweigerungshaltungen. Stichwort Wutbürger. Es gibt eine Tendenz zum Verhinderungs-Protest und zu teilweise gefährlichen Verschwörungstheorien.
Brauchen wir überhaupt einen Bürgerdialog oder wissen Sie als Zukunftsforscher schon die Antworten?
M. H.: Die Gefahr eines solchen Bürgerdialog-Verfahrens liegt a) in der Produktion von kitschigen Allgemeinplätzen und b) in einer “Erziehung zur fordernden Unmündigkeit”. Wenn man ausschließlich fragt, was sich Bürger wünschen, stärkt man dadurch die Vorstellung, die Politik könne alles leisten und alles liefern: Geborgenheit, Sicherheit, jede Menge Freiheiten, Gleichheit, Aufmerksamkeit. Wenn wir den Bürger fragen, was er sich wünscht, könnten wir ihn auch einmal fragen, wofür er sich mehr einsetzen will.
Kommentare: 3
Ich staune auch, diese Erkenntnisse sind doch sicher länger bekannt, auch den Entscheidungsträgern in Politik und Wirtschaft. Die mündigen Bürger würden oft gerne mehr tun, sich engagieren, wenn man sie nicht in Firmen, durch ungünstige Rahmenbedingungen und politische Befindlichkeiten bremsen und ausbremsen würde. Mein Eindruck ist, die politische und wirtschaftliche Elite sagt immer, was richtig sein soll, die Bürger haben das zu verinnerlichen, zu schlucken, man tut ja alles nur eigentlich zum Wohle des deutschen Volkes. Das gilt vor allem für die Politik. Die Politik sollte den Bürger nicht nur am Wahltag oder bei Demonstrationen bei Pegida o.ä. ernst nehmen, sollte nicht staunen oder sich wundern, wenn Bürger sich dann auch mal gegen den Willen der politischen Elite und Meinungsführer für Dinge einsetzen, Dinge ansprechen, die eben vorher von der Politik nicht so ernst gesenen worden waren. Möge dieser aktuelle Bürgerdialog da etwas bewegen zwischen Bürger und Politik. Gruß- Uwe
Ich kann mich da Lene Bergauf nur anschließen.
Mehr noch:
In mir keimt der Verdacht auf das die Regierung nicht wirklich willens ist Verbesserungen in Stande zu setzten. Bei der Regierung ist ebend gerade alles meistens halt so gut wie sie es für andere sich vorstellen.
Bei der CDU und noch schlimmer der erzkonservativen CSU hakt es dabei gewaltig wegen ihrem massivem reaktionär anmuteten Gedankengut und der in den Parteien anhängenden sehr mächtigen Wirtschaftsflügeln. Die Reaktionen aus beiden Parteien zu dem in Irland kürzlich durchgeführten Bürgerentscheid entsprechen dabei als Beweise meiner Darlegungen.
Wenn diese Ansichten in politischen Kreisen bekannt sind, dann stellt sich mir die ernsthafte Frage, warum nicht danach gehandelt wird. Sind Politiker menschlich nicht in der Lage dazu sich selbst einzubringen, oder fehlt ihnen die politische Kompetenz den Gemeinschaftssinn im Land zu fördern, sodass daraus eine sich ausweitende friedliche Gesellschaft entsteht. Ich glaube, die Bürger heute sind engagierter als noch vor einigen Jahrzehnten, doch sie werden politisch so ausgebremst, dass ihnen immer mehr ihrer Eigendynamik verloren geht. Politik sollte in einer Demokratie nur dahingehend steuernd eingreifen, dass Bürger in die Lage versetzt werden, sich selbst in die Gesellschaft zu integrieren. Die Unterstützung sollte konsequent ein Ziel verfolgen, sie sollte dann möglichst schnell, möglichst konkret ein erkennbares Ergebnis vorweisen können. Maßnahmen sollten der Förderung eines durch Werte im Grundgesetz verankerten Gesellschaftsbildes dienen und nicht neue "Baustellen" verursachen.