"Zwischen Führen und Wachsenlassen"
Manche Eltern meinen es gut – zu gut sogar. Wie Hubschrauber kreisen sie über ihren Kindern, allzeit bereit zum Eingreifen. Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes (DL), hat ein Buch über sogenannte Helikopter-Eltern geschrieben und erklärt, wieso der elterliche Eingreiftrupp der Lebensqualität von Kindern eher schadet.
Quelle: Colourbox
Josef Kraus kennt sich aus mit Eltern: Viele Jahre arbeitete er als Deutsch- und Sportlehrer, war Schulpsychologe und Schulleiter. Seit 1987 ist Kraus, selbst Vater und Großvater, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes (DL), der Dachorganisation von 160.000 Lehrern in mehreren Bundesverbänden. In seinem Buch "Helikopter-Eltern. Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung" beschreibt er den Trend, Kinder einerseits übermäßig zu behüten und ihnen damit viel Selbständigkeit zu nehmen, sie andererseits aber auch mit Angeboten und Ansprüchen zu überfordern. Als Typ "Rettungshubschrauber", "Transporthubschrauber" oder als "Kampfhubschrauber" kümmern sich solche Eltern um alles erschöpfend und mit äußerster Effizienz. Etwa 10 bis 15 Prozent der Eltern schießen nach Kraus' Schätzung über das Ziel hinaus, Tendenz steigend. Woher kommt dieser Trend?
Alles muss passen
Der Wunsch vieler Eltern nach lückenloser Beaufsichtigung ihrer Kinder hat unterschiedliche Motive. Aus Kraus' Erfahrungen hat dieser Wunsch einerseits mit dem Trend zur Ein-Kind-Familie zu tun. Das einzige Kind steht über die Maßen stark im Fokus der Eltern, nach dem Motto: Für mein einziges Kind muss alles passen. Andererseits werden Paare im Schnitt auch immer später Eltern – und je älter Eltern werden, desto vorsichtiger und befangener erziehen sie. Mehr Beaufsichtigung entsteht auch aus Sorge, erklärt Kraus, aus "der irrationalen Angst, dass im Straßenverkehr immer mehr passiert, was nachweislich nicht stimmt, sowie der irrationalen Angst, dass es immer mehr Kinderschänder gibt - was nachweislich ebenfalls nicht stimmt".
Helikopter-Eltern meinen es besonders gut, "das zeichnet sie aus", sagt Kraus, "aber das besonders Gute ist oft der Feind des Guten." Denn die Lebensqualität der Kinder von Helikopter-Eltern ist gemindert: "Solche Kinder werden kaum selbständig und eigenverantwortlich. Sie vereinen erlernte Hilflosigkeit mit hohen Ansprüchen und werden eines Tages schwierige Ehepartner."
Der Weg, der dem Kind am meisten gerecht wird
Steigern könnten Eltern das Wohlergehen ihrer Kinder mit weniger Angst und mehr Intuition in der Erziehung, empfiehlt Kraus. Intuition auch dafür, was dem eigenen Kind wirklich entspricht: "Die aktuelle und zukünftige Lebensqualität der Kinder hat viel mit Bildung zu tun. Dabei geht es nicht um den formal höchsten Bildungsweg, sondern um den Weg, der dem Kind am meisten gerecht wird." Die Formel für ein gutes Heranwachsen der Kinder liegt laut Kraus wie so oft in der goldenen Mitte: "Eltern müssen bei der Erziehung einen Mittelweg finden zwischen Führen und Wachsenlassen."
Herausforderungen alleine meistern
Kraus' Tipp, um das Gleichgewicht zu finden zwischen zu viel behüten und zu wenig: "Indem man sich immer vergegenwärtigt, was ein Kind alleine schafft. Das Prinzip der Subsidiarität sollte auch in der Erziehung gelten." Mit dem Begriff, der eigentlich aus der Gesellschaftstheorie kommt, ist gemeint, dass staatliche Eingriffe, etwa durch den Bund oder die EU, nur dann erfolgen sollen, wenn die jeweils tiefere hierarchische Ebene – zum Beispiel Länder oder Kommunen – nicht in der Lage ist, die erforderliche Leistung zu erbringen. Bezogen auf die Erziehung heißt das: Nur dann eingreifen, wenn das Kind allein wirklich nicht zurechtkommt. Denn das nützt dem Kind: "Ein Kind wird nur dann stark und kann auf sich stolz sein, wenn es Herausforderungen eigenständig bewältigen darf."
Neben weniger Angst und mehr Intuition glaubt Kraus an Bodenständigkeit und Spontaneität in der Erziehung – und am Ende sollten Eltern vor allem eins haben: "Mehr Zeit für ihre Kinder."
Kommentare: 2
Leider ist Bildung für Kinder oft von der sozialen Stellung der Eltern abhängig, Ausnahmen bestätigen natürlich wie immer die Regel. In einigen Regionen und Gegenden haben Eltern aber inzwischen Angst, Kinder unbeaufsichtigt spielen zu lassen, draußen toben zu lassen, es passiert zu viel. Selbst in Schulen ist Gewalt ein zunehmendes Thema, nicht alles können Schulsozialarbeiter regulieren. Man muss wohl auch in den Lehrplänen der Schulen den Alltag der Schüler und künftigen Erwachsenen besser berücksichtigen, die Schüler alltagstauglicher machen. Was sie an modernen Medien nutzen oder besitzen, sollte dazu mit einbezogen werden, Schüler müssen das "Mündig sein" auch lernen und üben. Da sollten Eltern und Schule mehr hilfreich zur Seite stehen. Gruß- Uwe
Ich möchte meinen Kindern die Werte vermitteln, die mir selbst beigebracht wurden. Dafür nutze ich das tägliche Leben, um ihnen zu zeigen, was für mich wichtig, richtig und falsch ist. Es gibt Grenzen, die müssen meine Kinder einhalten, auch wenn sie das manchmal nicht verstehen. Ein großes Problem sind Handy und Internet, denn meine Kinder sollen im Umgang damit sensibilisiert werden und dürfen diese Medien deshalb nur sehr eingeschränkt nutzen. Das ist nicht immer leicht, da das Umfeld diesbezüglich nur wenige Einschränkungen macht. Schule ist ebenfalls ein Thema, denn ich habe den Eindruck, die Bildungspolitik setzt immer mehr auf die Beteiligung der Eltern, um den Bildungsauftrag erfüllen zu können. Das ist schwierig, denn als Eltern hat man nicht die Einblicke und Einflussmöglichkeiten, die Lehrer wahrnehmen können. Vom Gymnasium wird offensichtlich vorausgesetzt, dass Eltern Akademiker sind und entsprechende Bildungsvoraussetzungen für die Kinder schaffen können.