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„Der Sinn des Lebens ist das gute Leben“

Nils Heisterhagen ist Junior Policy Fellow bei dem Think Tank „Das Progressive Zentrum“. Er hat vor kurzem ein Arbeitspapier für die Otto-Brenner-Stiftung zum Thema „Bürgerbeteiligung im Fernsehen – Town Hall Meetings als neues TV-Format?“ veröffentlicht. Aus seiner Ansicht sind Town Hall Meetings wichtig für die Demokratie.

Veröffentlicht:04.01.2016 Kommentare: 4

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Herr Heisterhagen: Was ist für Sie gutes Leben und Lebensqualität in Deutschland?

Nils Heisterhagen: Das ist eine große Frage. Schon Platon stellte sich die Frage nach dem guten Leben. Wir denken somit schon sehr lange über die Frage nach dem guten Leben nach. Wenn man auf der einen Seite sieht, wie viel Rassismus, Gewalt, Freund-Feind-Schemata und soziale Ungerechtigkeit wir in unseren liberalen Demokratien noch haben, dann muss man leider sagen, dass wir vom guten Leben noch sehr weit weg sind. Auf der anderen Seite haben wir in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg schon einen sehr guten Weg gemacht. Man darf doch mit einiger Plausibilität sagen, dass das Leben in Deutschland besser geworden ist. Aber das kann eben auch noch sehr viel besser werden. Das müssen wir uns immer wieder sagen. Dieses Land erlebt gerade einen großen Reformstau. Die To-Do-Liste ist lang. Aus meiner Sicht dürfen wir uns nicht suggerieren, dass alles gut ist. Das ist es nicht. Wir sollten anpacken und die Lebensqualität verbessern. Der Sinn des Lebens erfüllt sich erst im guten Leben. Oder anders gesagt: Der Sinn des Lebens ist das gute Leben. Daher sollte unser Ansporn, unsere Verantwortung und Verpflichtung sein, das gute Leben in Deutschland wirklich zu verwirklichen. Da haben wir viel zu tun, aber wir können das auch packen: Mit Idealismus und Realismus.

Sie vertreten die Meinung, dass Town Hall Meetings im Fernsehen die Demokratie stärken. Können Sie das erklären?

Nils Heisterhagen: Von den Town Hall Meetings kann ein positives Signal zur Revitalisierung der Demokratie ausgehen, weil sie das Gefühl der Bürger steigern können, wirklich mitreden und mitgestalten zu können. Wo jemand selber seine Ideen und Meinungen in die politische Debatte so einbringen kann, dass sie auch gut gehört werden können, da hat er allen Grund an der Debatte teilzunehmen und sie mitzugestalten. Ein weiterer Vorteil der Town Hall Meetings ist, dass sie die Überraschungsarmut, die Durchgeplantheit und die Vorhersehbarkeit der herkömmlichen inszenierten Polit-Talkshows überwinden können. Der normale Bürger ist kein Medienprofi, da gibt es immer Überraschungen und Unerwartetes und gerade das braucht die politische Debatte. Es gibt somit viele Gründe, warum eine Institutionalisierung der Town Hall Meetings als TV-Debatte gut für die deutsche Demokratie ist.

Beim Dialog „Gut leben in Deutschland“ wurden die Menschen direkt gefragt. Ist das nicht wirkungsvoller und demokratischer als Diskussionen im Fernsehen?

Nils Heisterhagen: Zunächst will ich festhalten, dass das Projekt „Gut leben in Deutschland“ ein tolles Projekt ist. Aber die Dialoge, die während des Projektes stattgefunden haben, sind doch genau das Gleiche, wie wenn ein Town Hall Meeting bei ARD und ZDF als neues politisches Debattenformat institutionalisiert würde. Man könnte auch davon sprechen, dass so ein Town Hall Meeting die Fortentwicklung des Dialogs „Gut leben in Deutschland“ sein kann. Das wäre doch hervorragend, wenn das Projekt diesen nachhaltigen Effekt für die Debattenkultur hätte. Ich glaube auch, dass es für die Ex-Post-Legitimation des Projektes gut wäre, wenn Town Hall Meetings bei ARD und ZDF entstünden. Denn am Ende soll doch nicht der Eindruck entstehen, bei dem Dialog „Gut leben in Deutschland“ handelte es sich nur um ein PR-Coup. Was soll vom Projekt bleiben? Doch hoffentlich der Ansatz, dass die Bürger mehr in die politischen Deliberationsprozesse eingebunden werden. Bürger wollen gefragt und angehört werden: Ein dauerhaft institutionalisiertes Town Hall Meeting als politische TV-Debatte bei ARD und ZDF wäre doch ein tolles Resultat des Projektes der Bundesregierung. Denn dann hätte die Bundesregierung ja tatsächlich einen Anstoß zur Verbesserung der Demokratie geleistet.

Sollten solche oder ähnliche Dialoge also regelmäßig durchgeführt werden?

Nils Heisterhagen: Ja, unbedingt. Und ich plädiere dafür, dass die Fortsetzung dieser Dialoge im Fernsehen geschieht. Und ARD und ZDF haben die Möglichkeit zu der dauerhaften Institutionalisierung. Anne Wills Sendeplatz ist ja auch gerade frei geworden, weil sie für Günther Jauch übernimmt. Das sind beste Voraussetzungen so ein neues Format auf dem alten Sendeplatz auszuprobieren. Man muss nur wollen in den Sendeanstalten. Wo ein medienpolitischer Wille ist, da ist auch ein Weg.

Sie fordern, dass jeder Bürger Einfluss auf öffentliche Debatten nehmen kann. Abgesehen von Dialogen und Town Hall Meetings: Wie könnte das aussehen?

Nils Heisterhagen: In unserer Demokratie gilt durch das Grundgesetz, dass alle Macht vom Volke ausgehen soll. Dies drückt sich im deutschen Parlamentarismus aus. Der Bundestag soll die Stimme des deutschen Volkssouveräns sein. Nun ist diese Demokratie repräsentativ. Volksvertreter üben also den Einfluss stellvertretend für die Bürger aus. Wenn wir also über Einfluss der Bürger auf die öffentlichen Debatten reden, dann meinen wir eigentlich, wie die Bürger direkt und selbst an diesen Debatten teilnehmen können. Dann sind wir zunächst beim Thema „Direkte Demokratie als Ergänzung der repräsentativen Demokratie“. Diese direkte Demokratie könnte etwa durch Volksentscheide passieren. In der Schweiz funktioniert das ja auch. Solche Volksrechte wie in der Schweiz müsste man aber in das Grundgesetz schreiben. Bevor das nicht passiert, wird es direkte Demokratie in dieser Form allerhöchstens auf kommunaler Ebene und vielleicht ab und zu auf Länderebene geben. Aber damit das auch für die Bundespolitik etabliert wird, braucht es zunächst eine Grundgesetzänderung. Ich wäre für mehr Volksentscheide und ein Initiativrecht – gewiss etwas maßvoller als in der Schweiz.

Und glaubt man der großen Philosophin Hannah Arendt, dann liegt die Macht letztlich in der öffentlichen Meinung. Bestes Beispiel dafür ist doch die Kehrtwende in der Energiepolitik nach der Havarie des Atomkraftwerks in Fukushima. Da hat Angela Merkel sich doch der öffentlichen Meinung gebeugt, die maßgeblich durch große Protestdemonstrationen verändert wurde.

Eine weitere Möglichkeit des Einflusses von Bürgern auf öffentliche Debatten sehe ich in Leserartikeln. Zeit Online praktiziert das ja schon. Das sollten andere Medien auch tun. Ich glaube, dieses Format von Leserartikeln sollte massiv ausgeweitet werden. Man wird überrascht sein, was viele Bürger an klugen Ideen und klugen Texten produzieren können. Sie brauchen aber dafür einfach ein Forum, das sollte man ihnen auch schaffen. Egal ob das jetzt Leserartikel oder Town Hall Meetings als TV-Debatte sind.

Kommentare: 4

  • Als Kleine erinnerung :

    Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
    Art 5
    (1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
    (2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
    (3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

    Dieser Text unterstreicht was ich meine :

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    :-) Ironie verlass mich nie ,
    Ihr haltet euch für Demokraten ?



  • Der Sinn des Lebens ist nicht ein gutes Leben, das ist sehr egoistisch formuliert, denn nicht für jeden Menschen ist das Gleiche gut. Menschen die in der Lage sind die Güte des Lebens mit zu bestimmen, die sollten Herz und Verstand dafür einsetzen, diese Mitbestimmung als Recht auf die Gemeinschaft zu übertragen, um damit die Motivation für den dafür nötigen Arbeitseinsatz zu fördern und nicht nur die Pflichten, die sich aus der Selbstbestimmung ergeben für sehr egoistische Zwecke zu missbrauchen.

    Demokratie wird durch das Volk geprägt, indem Politiker so motivieren, dass sie sich für die Ansprüche aus dem Volksdenken stark machen und Macht so einsetzen, dass durch die tägliche Arbeit der Bedarf des ganzen Volkes gedeckt werden kann.

    Heute wird Macht zur Durchsetzung einzelner Interessen verwendet und das Volk wird dafür missbraucht, diese Interessen auch wirklich durchzusetzen.

    Sozialleistungen dienen nicht den sozialen Anforderungen sondern fördern die sozialen Bedürfnisse.

  • In einer Demokratie müssen mündige Bürger die Gelegenheit haben, nicht nur regelmäßig frei zu wählen, sondern auch ihre Stimme zu wichtigen Fragen und Themen per Volksentscheid, Bürgerbefragung etc. abgeben zu können gerade zwischen den Wahlen. Zwischen den Wahlen passiert ja viel mehr als kurz vor einer Wahl. Diese Möglichkeiten fehlen aktuell. Dieser Bürgerdialog war ein Anfang, von vielen Menschen so nicht verstanden, auch leider nicht genutzt. Town Hall Meetings können auch gesteuert sein, gelenkt werden von deren Machern, da finde ich virtuelle Möglichkeiten zur Diskussion wichtig und zwar mit klaren Regeln, mit echten Namen zumindest. Vielleicht auch mit Bild, es soll keine Diskussion unterhalb einer Gürtellinie sein oder werden. Town Hall Meetings ersetzen für mich nicht die Möglichkeit von Volksentscheiden, Bürgerbefragungen etc. Allen Hier Frieden, Gesundheit, Freude und Glück für 2016- Uwe