"Die Bürgerdialoge geben der Bundesregierung einen klaren Auftrag“
Margit Aufterbeck, Cordula Nowotny und Silke Eschenbeck haben zahlreiche Bürgerdialoge in ganz Deutschland moderiert. Im Interview berichten die Moderatorinnen von Orten, an denen sie bis dahin noch nie waren, und von Begegnungen, die sie besonders berührt haben.
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Quelle: Martin Leissl
Sie waren in den vergangenen Monaten viel unterwegs. Gibt es Orte in Deutschland, die Sie ohne den Bürgerdialog so vielleicht nie kennengelernt hätten?
Margit Aufterbeck (MA): Mein erster Bürgerdialog war in einer Kaserne in Mittenwald. Ich war in meinem Leben davor vielleicht zwei Mal in einer Kaserne. Aber da ist mir erst wieder klar geworden, welchen wichtigen Job die Soldaten leisten. Die Tatsache, dass wir so ein sicheres Land sind, ist ja überhaupt die Grundlage für Lebensqualität.
Silke Eschenbeck (SE): Ich war unter anderem in Winnenden. Bis dahin habe ich die Stadt mit dem Amoklauf in Verbindung gebracht und bin froh, sie jetzt auch mit etwas anderem zu verbinden. Die Menschen dort haben ihren Weg gefunden, mit dem Ereignis umzugehen, und der Amoklauf war einfach nicht das Thema des Dialogs.
Cordula Nowotny (CN): Ich war in Syke, in Niedersachsen. Da wäre ich ohne den Bürgerdialog sicherlich nicht hingekommen. Oder nach Niesky in Sachsen. Ich fand es schön zu erleben, dass es in den ländlichen Regionen eine besondere Wertschätzung für den Bürgerdialog gab.
Quelle: Judith Junge
Wie wichtig war dieses Engagement der Veranstalter vor Ort?
CN: Der Dialog war kein Selbstläufer, gerade für kleinere Veranstalter. Das Engagement der Veranstalter war notwendig, damit viele Bürgerinnen und Bürger teilnehmen konnten – und das ist auch echt gelungen.
MA: IFOK macht schon seit zwanzig Jahren Projekte zur Bürgerbeteiligung und es gab eine Zeit, da war die Aussage "Wir beteiligen euch" schon an sich ein attraktives Angebot. Heute ist Bürgerbeteiligung in aller Munde und wird oft kritisch hinterfragt. Und das ist aus unserer Sicht als Prozessexperten auch gut so. Die Menschen fragen sich: Soll ich da wirklich hingehen? Was habe ich davon? Und so habe ich auch in den Veranstaltungen zu „Gut Leben in Deutschland“ eine sehr gesunde kritische Einstellung wahrgenommen. Die Bürger haben gesagt: Gut leben in Deutschland, das ist unsere gemeinsame Sache, da machen wir mit. Aber sie wollten gleichzeitig auch ganz genau wissen, was mit den Ergebnissen passiert.
CN: Ich finde es deshalb wichtig, dass jetzt auch konkret etwas mit den Ergebnissen passiert und die Öffentlichkeit wahrnimmt, wie es weitergeht. Denn das war eine wichtige Grundlage dafür, dass sich die Menschen Zeit genommen haben, um mitzumachen. Jetzt liegen die Antworten auf dem Tisch, Fakten sind geschaffen. Die Menschen sind interessiert an den messbaren Indikatoren und wie ihre Ideen zur Lebensqualität nun umgesetzt werden.
Woran erinnern Sie sich besonders gerne, wenn Sie an die Bürgerdialoge zurückdenken?
SE: Ich habe in Bad Camberg eine Veranstaltung mit hörgeschädigten Teilnehmern moderiert. Das hat mich sehr beeindruckt. Es war eine besondere Herausforderung mit Gebärdensprach- und Schriftdolmetschern zusammenzuarbeiten. Die Art, wie die Menschen untereinander im Gespräch waren, wie nah sie dran sind an den üblichen Themen und doch eine ganz eigene Welt haben bzw. haben müssen, das hat mich sehr berührt.
CN: Ich hatte auch so eine Begegnung. In einem meiner Workshops war ein Jugendlicher, der autistisch ist. Mich hat beeindruckt, wie es den Bürgerinnen und Bürgern am Tisch gelungen ist, ihn zu integrieren. Das war gelebte Inklusion. Und ich erinnere mich auch gerne daran, wie sich die unterschiedlichen Beteiligten auf Augenhöhe ausgetauscht haben, das hat insgesamt sehr gut funktioniert und ist für uns ein Zeichen einer gelungenen Dialogveranstaltung.
MA: Und diese Stimmung fand ich typisch. Waren bei einer Veranstaltung zum Beispiel Schülerinnen und Schüler dabei, dann haben die Älteren oft gefragt: Wie seht ihr das denn? Immer, wenn Vertreter von Gruppen da waren, die tendenziell häufig unterrepräsentiert sind, wurde ihnen ein Podium gegeben.
Quelle: Bundesregierung/Bergmann
Haben Sie nach den vielen Gesprächen den Eindruck, dass Deutschland ein Land mit einer hohen Lebensqualität ist?
MA: Ich denke schon, dass wir in einem Land mit einer hohen Lebensqualität leben. Aber was ich mitgenommen habe, ist, dass allen bewusst ist, wie viel Arbeit es ist, diese Lebensqualität überhaupt zu haben und zu halten.
CN: Die Menschen schätzen es wert, dass wir zum Beispiel ein gutes Gesundheitssystem oder ein gutes Bildungssystem haben. Trotz aller Kritik. Und es gab viele Themen, bei denen Menschen sagen: Das reicht uns so noch nicht. Gerade wenn ich an das Miteinander der Religionen und Kulturen denke, oder an die Akzeptanz von unterschiedlichen Familien- und Lebensformen. Da wurde deutlich, dass wir noch lange nicht da sind, wo wir sein wollen. Genauso beim Thema Inklusion.
SE: Also einerseits hohe Lebensqualität, ja, aber auch ein klarer Auftrag, was zu tun ist. Und wir sollten nicht vergessen, dass es doch auch einen Teil in der Bevölkerung gibt, der nicht in den Genuss dieser hohen Lebensqualität kommt.
Welche Themen haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer besonders oft diskutiert? Gab es Themen, die Sie überrascht haben?
CN: Worum es oft ging und womit wir auch gerechnet haben, waren Themen wie Bildung, Gesundheit, Infrastruktur oder Umwelt. Mich hat gefreut, dass häufig auch die Themen Freiheit, Werte, Demokratie, eine solidarische Gesellschaft oder Sozialsysteme diskutiert wurden.
MA: Ich fand es sehr erstaunlich, dass in den sechseinhalb Monaten Bürgerdialog, in denen ja außenpolitisch viel passiert ist, das Thema äußere Sicherheit so selten vorkam. Das Migrationsthema wurde zunehmend wichtiger, aber die äußere Sicherheit wurde selten genannt. Irgendwie wird es als selbstverständlich hingenommen, dass wir hier sichere Grenzen haben.
SE: Mich hat überrascht, dass politische Ereignisse, wie zum Beispiel die Ukrainekrise, Griechenlandkrise und auch die Flüchtlingskrise, fast keine Rolle spielten. Die grundsätzlichen, langfristigen Themen wurden eher diskutiert als das, was gerade die politische Tagesordnung bestimmte. Insgesamt überraschend war, wie gut die Teilnehmerinnen und Teilnehmer vorbereitet waren und wie fundiert sie sich über grundsätzliche Themen unterhalten haben.
CN: Das lag natürlich auch an der Perspektive. Man hat sich die Zeit genommen, um grundsätzlich nachzudenken. Und das ist ja auch richtig so, dass man mal aus der Vogelperspektive draufguckt und fragt: Wo stehen wir denn hier in Deutschland?
Hat sich Ihr Verständnis von Lebensqualität im Laufe des Bürgerdialogs verändert?
CN: Wirklich inhaltlich verändert hat es sich bei mir nicht, aber ich sehe durch die Beschäftigung mit dem Dialog mehr Ebenen. Es sind einfach ganz verschiedenen Komponenten, die ineinander greifen und Lebensqualität ausmachen.
SE: Ich habe mir bisher selten die Zeit genommen, mir tatsächlich darüber Gedanken zu machen, was wichtig ist im Leben und was Lebensqualität für mich ausmacht. Sich diese Fragen zu stellen, ist etwas, das ich mir gerne erhalten würde. Der Bürgerdialog war für mich persönlich der Impuls dazu.
MA: Und es ist noch mehr als ein Impuls: Nun liegen klare Erwartungen von Bürgerinnen und Bürgern an Lebensqualität vor. Wichtig ist jetzt, diese so aufzubereiten, dass sich zukünftiges Regierungshandeln danach richtet.
Margit Aufterbeck, Cordula Nowotny und Silke Eschenbeck sind Teil eines 18-köpfigen Teams der IFOK GmbH, einer Kommunikations- und Strategieberatung, die den Prozess begleitet hat.
Kommentare: 1
"Nun liegen klare Erwartungen von Bürgerinnen und Bürgern an Lebensqualität vor. Wichtig ist jetzt, diese so aufzubereiten, ..."
Dieser Satz sagt alles über den Wert dieses Dialügs.
Die Bürgererwartungen müssen jetzt aufbereitet werden.
Was heißt das?
Die Propagandaabteilung frisiert alles politisch korrekt im Sinne der politischen Führung und unsere Staatsratsvorsitzende wird sich in ihrer Selbstzufriedenheit suhlen.
Übrigens: der Titel "Die Bürgerdialoge geben der Bundesregierung einen klaren Auftrag" wird im weiteren Verlauf dieses "Interviews" nicht beachtet. Ich habe jedenfalls keinen "Auftrag" erkennen können. Nun ja, wenn alles erst "aufbereitet" (frisiert, nach-gerichtet) werden muss ...