Herr Westphal ist angekommen
Gut leben im Alter. Was bedeutet das eigentlich? All das machen zu können, was man schon immer gerne gemacht hat, würde Heinz Westphal sagen. Wir haben den 81-Jährigen beim Bürgerdialog in einem Stralsunder Seniorenzentrum getroffen.
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Quelle: Hormann/Nordlicht
"Gesundheit" steht ganz oben auf der Liste von Heinz Westphal, "gute Pflege – sich wohlfühlen" an zweiter Stelle. Es sind seine Antworten auf die Frage "Was ist Ihnen persönlich wichtig im Leben?" beim Bürgerdialog im Sozialzentrum Am Grünhufer Bogen in Stralsund. "Geschmacklich gutes Mittagessen" hat Heinz Westpahl noch aufgeschrieben, außerdem "Möglichkeit zur Beschäftigung" und "Möglichkeit für Ausflüge und Spaziergänge".
Neue Freundschaften und Besuche im Tierpark
Nein, große Ansprüche hat der 81-Jährige nicht. Es sind eher die kleinen Dinge, die sein Leben gut machen. Im Sozialzentrum Am Grünhufer Bogen hat er sie gefunden. Wiedergefunden, muss man vielleicht sagen. Anfang 2015 musste Heinz Westphal plötzlich ins Krankenhaus, konnte anschließend nicht mehr alleine in seiner Wohnung leben und braucht nun einen Rollator, der ihn beim Laufen stützt. Ihn, der bis 2013 regelmäßig den sechs Kilometer langen Rügenbrückenlauf mitgemacht hat. Eingeschränkt in seiner Aktivität und dann auch noch in der fremden Umgebung des Seniorenzentrums. "Ich habe erst gedacht, du bist hier verkehrt", sagt er.
Inzwischen ist Heinz Westphal angekommen: "Ich habe hier das gefunden, was ich schon immer mache." So oft er kann, geht er in den Tierpark Stralsund gegenüber vom Seniorenzentrum, beobachtet die Tiere, fotografiert sie. Er hat wieder angefangen zu sticken, hat andere Bewohner des Zentrums kennengelernt und neue Freundschaften geschlossen. Eine Mehrheit hat ihn in die Bewohnervertretung gewählt. Am wichtigsten aber ist ihm die Ausstellung im Erdgeschoss des Pflegeheims. Die Ausstellung seiner eigenen Bilder.
Ausstellung im Pflegeheim
Mehr als 15 Jahre hat Heinz Westphal regelmäßig mit Aquarellfarben und Tuschkasten gemalt: Vögel, Pflanzen, Landschaften und immer wieder Stralsund – seine Heimat. Die Ausstellung war ein Herzenswunsch. Es ist nicht seine erste, aber eine wichtige. "Das macht mich richtig stolz", sagt der zierliche Senior, als er entlang der Bilder führt, und strahlt. Und die Menschen um ihn herum strahlen mit. "Herr Westphal ist der Grund, warum ich Krankenschwester geworden bin", erzählt Christine Kamrath, die Leiterin der Alltagsbetreuung. Als Jugendliche machte sie beim Deutschen Roten Kreuz eine Ausbildung als Sanitäterin – angeleitet von Heinz Westphal, der sich dort ehrenamtlich engagierte.
Solche persönlichen Verbindungen sind wichtig. So wie die Biographien der Pflegeheim-Bewohner für die Arbeit der mehr als 160 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Pflege und Betreuung am Grünhufer Bogen generell eine wichtige Rolle spielen. "Man muss die Menschen da abholen, wo sie stehen" sagt Zentrumsleiterin Annett Mülling. Drei stationäre Pflegeeinrichtungen mit insgesamt rund 310 Bewohnern bilden zusammen das Sozialzentrum. Jedes Haus hat einen eigenen Schwerpunkt: Eines ist nach Kneipp zertifiziert, das zweite ist eine Wohngruppenbetreuung für Demenzpatienten, im dritten leben die Seniorinnen und Senioren nach dem Hausgemeinschaftsprinzip zusammen. Das Sozialzentrum gehört zu den Wohlfahrtseinrichtungen der Hansestadt Stralsund.
"Die Selbstbestimmung steht an erster Stelle"
Über die Jahre hinweg hat Annett Mülling bei ihrer Arbeit beobachtet, dass es vor allem eine Sache ist, die alte Menschen für ein gutes Leben brauchen: Selbstbestimmung. "Es kommt nicht unbedingt darauf an, wie jemand lebt", so Mülling. "Die Selbstbestimmung steht an erster Stelle." Und darüber hinaus? Die Familie, die Kinder und Enkelkinder, soziale Sicherheit und immer wieder Gesundheit nennen die rund 30 Bewohnerinnen und Bewohner beim Bürgerdialog in den Räumen des Sozialzentrums. Ähnlich wie Heinz Westphal auch.
Er hört viel zu an diesem Nachmittag, während um ihn herum angeregt über Bildung, Steuergerechtigkeit und die Pflegereform diskutiert wird. Im Vorfeld hat er sich viele Gedanken zum Thema Lebensqualität gemacht. In kleiner, akkurater Schrift hat er seine Gedanken notiert. "Die Veranstaltung war sehr interessant", wird er am Ende des Bürgerdialogs sagen. Und dass er alle Themen anbringen konnte, die ihm wichtig waren. Eines ist ihm kurz vor Schluss noch eingefallen: "Möglichkeiten schaffen, damit Kinder zeitig schwimmen lernen können" hat er aufgeschrieben. "Ich habe selbst erst sehr spät schwimmen gelernt", erzählt Heinz Westphal. "Und dabei ist das doch so wichtig."
Mehr über die Wohlfahrtseinrichtungen der Hansestadt Stralsund erfahren Sie unter www.wfehst.de.
Kommentare: 1
Selbstbestimmung steht an erster Stelle und das ist wichtig. Aber das geht ja auch in der Zukunft eigentlich nur, wenn die Menschen ohne Angst vor Altersarmut existenzgesichert leben und entscheiden können, unabhängig vom ehemaligen Arbeitseinkommen etc. Das BGE Bedingungslose Grundeinkommen könnte hier gut Hartz IV und oft ungerechte Auslegungen der Vorschriften verändern, alle Menschen sind im gesamten Leben gut abgesichert. Mein Gruß geht jetzt besonders nach Stralsund, da begann mein Leben und bis etwa 22 Jahre habe ich dort gelebt, gearbeitet und auch von dort aus das erste Studium gemacht. Allen Stralsundern beste Wünsche und soziale Gerechtigkeit, natürlich wünsche ich das auch den Menschen nicht nur in Stralsund. Gruß- Uwe