Wenn Sport Türen öffnet
Kinder gewöhnen sich in der Regel schnell an Neues. Doch fremd zu sein in einem Land, in dem niemand ihre Sprache spricht, ist auch für sie schwierig. Der TV Arnsberg hat deshalb Flüchtlingskinder zu seiner diesjährigen Ferienfreizeit eingeladen.
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Quelle: Gottschalk/photothek.net
Ganz vorsichtig dreht Udo Jakobi das Rhönrad immer weiter – und Tamanija dreht sich mit. Mit weit aufgerissenen Augen steht die Zehnjährige in dem Turngerät und hält sich krampfhaft an seinen Sprossen fest. Dann ist das Rad einmal rum. Tamanija strahlt. "Das war gar nicht so schwierig", sagt sie. Tamanija ist mit ihrer Familie aus Serbien nach Deutschland zu kommen, um hier ein neues Leben anzufangen. Der TV Arnsberg will ihr und anderen Flüchtlingskindern dabei helfen anzukommen. Deshalb hat der Sportverein in der 74.000-Einwohner-Stadt im Sauerland sie zu seiner diesjährigen Ferienfreizeit eingeladen.
Kinder proben für ihre Zirkusvorstellung
Zirkus lautet das Motto. Eine Woche lang üben insgesamt 45 Kinder zwischen 9 und 13 Jahren Sprünge auf dem Trampolin, jonglieren mit bunten Tüchern, trainieren Kunststücke auf der Matte und rollen im Rhönrad durch die Halle. Freitag werden sie Eltern und Freunden ihre neu erworbenen Fähigkeiten vorführen. Aber noch ist Montag, die Ferienfreizeit hat gerade begonnen. Bis vor zwei Stunden ist Tamanija nie in die Nähe eines Rhönrads gekommen. Jetzt sitzt sie lachend auf einer der Sprossen, während das Rad auf und ab wippt. "Nicht so schnell", ruft sie Sergio aus Albanien zu, der auf der Sprosse gegenübersitzt. Noch konzentrieren sich die Kinder eher aufeinander. Doch im Laufe der Woche wird sich das schnell ändern.
"Zuerst wollten wir spezielle Angebote für Kinder aus Flüchtlingsfamilien anbieten", sagt Vereinsmanagerin Heike Bienstein, "aber dann sind sie ja wieder nur unter sich." So aber sind Tamanija, Sergio und die anderen gleich mitten drin und lernen jede Menge anderer Kinder kennen. Etwas, das auch ihre Eltern freut. "Ein Vater sagte zu mir, wie traurig es ihn macht, dass sein Sohn so oft alleine zu Hause sitzt", erzählt Martina Gerdes. Sie ist die Vorsitzende der Caritas-Konferenz der Kirchengemeinde Heilig Kreuz und hat den Kontakt zwischen Verein und Flüchtlingsfamilien vermittelt.
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"Hier geht im Zweifel auch alles ohne Sprache"
Vier Übergangswohnheime für Flüchtlinge gibt es in Arnsberg. 131 Menschen sind im ersten Halbjahr 2015 neu in der Stadt angekommen und warten hier darauf, dass über ihren Asylantrag entschieden wird. Die meisten von ihnen aus Serbien, Albanien und Syrien. Die Kinder gehen zunächst in sogenannte Integrationsklassen, bis ihre Sprachkenntnisse ausreichen, um eine Regelschule zu besuchen. "Sport ist ein tolles Mittel, um Türen zu öffnen", sagt Udo Jakobi, der erste Vorsitzende des TV Arnsberg. "Hier geht im Zweifel auch alles ohne Sprache."
"Greift die Tücher so, als wären es Gespenster." Marianne Bläsing macht es vor und zeigt den Kindern um sie herum, wie man die bunten Tücher beim Jonglieren fliegen lässt. Die Handballtrainerin hat erst zu Beginn des Jahres erlebt, wie gut Integration über Sport funktionieren kann. Nach einer Werbeaktion des Vereins kam ein 13-Jähriger zum Training. Seine Lehrerin hatte ihm den Flyer übersetzt. Deutsch sprach der Junge kaum. "Aber das war überhaupt kein Handicap", erzählt Marianne Bläsing, "die Kinder haben ihn sofort in die Mannschaft aufgenommen." Der Junge, dessen Familie aus dem Kosovo stammt, kam wieder – zusammen mit seiner Schwester und einem weiteren Jungen.
Kinder erfahren Erfolgserlebnisse
Der Verein regelte unkompliziert, dass die drei jeweils Mitglied werden konnten und übernahm den monatlichen Beitrag. Ein Angebot, das der TV Arnsberg noch einmal machen will, sollten die Flüchtlingskinder nach der Ferienfreizeit Mitglieder im Verein werden wollen. Neben Turnen, Rhönradturnen und Trampolinspringen, die später im Zirkusprogramm wieder auftauchen, lernen die Kinder jeden Tag eine andere Vereinssportart kennen. An Tag eins ist es die Leichtathletik. Auf der Tartanbahn hinter der Sporthalle rennen die Kinder in Staffeln um die Wette. Tamanija und Sergio mittendrin. Der junge Albaner rennt und rennt. Und ist als erster im Ziel. "Gut gemacht, Sergio", ruft die Übungsleiterin. Er strahlt. "Erfolgserlebnisse und positive Rückmeldungen sind wichtig für die Kinder", sagt Vereinsmanagerin Heike Bienstein.
Verein unterstützt auch Kinder aus sozial schwachen Familien
Während der Ferienzeit, wenn viele andere Kinder und ihre Familien in den Urlaub fahren, hat die Ferienfreizeit des TV Arnsberg noch eine weitere Funktion: "Es ist eine gute Abwechslung für die Kinder, eine Beschäftigung gegen Langeweile", sagt Udo Jakobi. Und da das nicht nur während der Ferien und für Kinder aus Flüchtlingsfamilien gilt, spricht der Verein auch immer sozial schwächere Familien an und unterstützt sie dabei, Geld aus dem Bildungspaket für den Vereinsbeitrag ihrer Kinder bei der Stadt zu beantragen. Integration hat eben viele Facetten.
Tamanija ist übrigens beim Rhönrad geblieben und hat bei der Zirkusvorstellung am Ende der Woche gezeigt, was sie alles schon kann mit dem großen Sportgerät. Als eines von 16 Kindern der Rhönrad-Gruppe. Mittendrin. Wie sie und der TV Arnsberg es sich gewünscht haben.
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