"Familien brauchen Zeit, Geld und Infrastruktur"
Politik kann und muss sich um das Wohlergehen von Familien kümmern, sagt Entwicklungspsychologe Prof. Axel Schölmerich von der Ruhr-Universität Bochum. Was dazu notwendig ist, erklärt er im Interview.
Quelle: Colourbox
Professor Schölmerich, wie geht es Familien in Deutschland?
Ich würde sagen, überwiegend gut. Wenn man das Ganze aus einer historischen Perspektive betrachtet, kann man sagen, dass die Leistungen und Maßnahmen, die zur Verfügung stehen, das Leben als Familie und das Großziehen von Kindern deutlich erleichtern und fördern. Es gibt ein Bekenntnis dazu, dass wir uns als Gemeinschaft darum kümmern.
Was braucht eine Familie für ihr Wohlergehen?
Zum einen geht es um die Beziehungen untereinander. Wenn eine Familie in ihrem Zusammenleben funktioniert, spielen Ressourcen nicht die zentrale Rolle. Gleichzeitig brauchen Familien Voraussetzungen, unter denen sie funktionieren können, und dazu gehört zum Beispiel ganz zentral die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Darüber hinaus kann man sagen, Familien brauchen Zeit, Geld und Infrastruktur.
Was heißt das konkret?
Beim Geld gibt es eine untere Grenze, unter der gerade das Leben mit Kindern schwierig wird. Für diese Kinder ergeben sich Einschränkungen, die ihrer Entwicklung nicht zuträglich sind. Das gleiche gilt für die Komponente Zeit. Wenn Eltern unter Dauerstress geraten, weil Beruf und Familie nicht übereinander bekommen, wird es schwierig. Und drittens Infrastruktur: Wir brauchen vor allem qualitativ hochwertige Betreuungs- und Bildungseinrichtungen.
Kann man vereinfacht sagen "Zufriedene Eltern bedeuten zufriedene Kinder"?
Die Wirkung geht ja in zwei Richtungen. Der Zustand der Kinder beeinflusst auch das Wohlbefinden der Eltern. Und es gibt auch an anderen Stellen Wechselwirkungen: Das Bildungsniveau der Eltern ist für das Wohlergehen von Kindern eine ganz entscheidende Komponente. Das heißt, langfristige Investitionen, um das allgemeine Bildungsniveau weiter anzuheben, sind auch für das Wohlergehen von Kindern positiv. Das ist etwas, dass sich erst nach langem zeitlichen Vorlauf auswirkt, aber die Investition lohnt sich.
Wie lässt sich Wohlergehen überhaupt messen?
Kinder beispielsweise haben dann ein hohes Maß an Wohlergehen, wenn sie einen altersgemäßen Entwicklungsstand haben und in ihrer Umgebung Faktoren vorhanden sind, die ihre weitere Entwicklung fördern. Bei dieser Entwicklung reden wir sowohl über Kompetenzen wie Alltagsfertigkeiten und Sprachkompetenzen, als auch über Selbstvertrauen und ein positives Selbstwertgefühl. Das kann man schon bei relativ jungen Kindern abbilden, zum Beispiel indem man Eltern danach fragt. Daraus ergeben sich für uns Möglichkeiten, Wohlergehen wissenschaftlich zu messen.
Wie viel Einfluss kann und sollte Politik auf das Wohlergehen von Familien nehmen?
Die Politik muss ganz klar etwas tun, aber man muss im Kopf behalten: Die Maßnahmen, über die politisch entschieden wird, wirken indirekt. Letztlich entscheiden die Eltern, ob sie Maßnahmen in Anspruch nehmen oder nicht. Außerdem gibt es immer unterschiedliche Wege, ein Ziel zu erreichen. Es gilt also beispielsweise zu überlegen, ob es sinnvoller ist, in Infrastruktur zu investieren, also zum Beispiel die Qualität der Tagesbetreuung zu erhöhen, oder direkt mit Unterstützungsmaßnahmen in Form von Geld zu arbeiten.
Das heißt, wir brauchen ein breites Angebot an familienpolitischen Maßnahmen?
Genau. Man merkt das an der öffentlichen Diskussion. Immer wenn jemand sagt, so wird es gemacht und das ist für alle gültig, gibt es Widerstände. Das ist ja auch sinnvoll so. Wir alle haben unterschiedliche Lebensentwürfe. Trotzdem sollte der Stand der Forschung dazu, wie sich bestimmte Angebote auf Kinder auswirken, Beachtung finden. Zum Beispiel gilt generell, dass alle Kinder von Tagesbetreuung mit guter Qualität profitieren, Kinder aus Elternhäusern, die weniger bildungsorientiert sind, aber besonders. Negative Effekte von niedrigem Einkommen sind bei Kindern, die halb- oder ganztags fremdbetreut werden, schwächer als bei Kindern, die nur familiär betreut werden. Würde man nun Angebote so gestalten, dass gerade solche Kinder bzw. Familien davon ausgeschlossen sind, wäre das keine gute politische Maßnahme.
Wo sollte jetzt die Priorität bei der Unterstützung von Familien liegen?
Auf dem Infrastrukturausbau zum Beispiel. Wenn man die Qualität der Tagesbetreuung betrachtet, ist da immer noch einiges zu tun. Aber wir können beim Thema Infrastruktur genauso gut über marode Schulen sprechen oder Risiken, die das Wohnumfeld betreffen. Darüber hinaus gibt es weitere Maßnahmen, die Zeit freisetzen, politische Investitionen, die sich lohnen. Die Elternzeit hat zum Beispiel einen interessanten Effekt: Weil diese Maßnahme zeitlich begrenzt ist, kehren viele von denen, die sie in Anspruch nehmen, anschließend auch wieder in den Beruf zurück.
Kommentare: 5
Familie muss in den Fokus von vorhandenen und neuen Dienstleistungen rücken, Politik und Staat haben da die Grundlagen gerade auch materiell- finanziell zu schaffen. Man kann Beratung und Hilfe für Familien nicht der wirtschaftlichen Stärke einer Region unterordnen, man braucht vielseitige Angebote und dazu auch die personelle Absicherung. Man muss da Vertrauen und Kontakte zwischen Beratung und den Familien ermöglichen, man muss Familien auch individueller fördern, je nach Bedarf und auch Interessenlage. Wir brauchen kostenlose Angebote, auch in Sachen Tagesbetreuung, man kann so auch die Familien entlasten. Zumindest sollten Mittagessen in KITA und Schulen für Kinder kostenfrei sein, gerade im reichen Deutschland. Und die Politik muss auch sichern, dass Familien durch die Kosten im Nahverkehr nicht unnötig belastet werden, man muss die Angebote für Familien auch im ländlichen Raum gut und bequem zeitlich erreichen können. Gruß- Uwe
Sehr guter Beitrag in Sachen Familie. Ja, man braucht eine funktionierende Infrastruktur, dazu Zeit und Geld. Das erlebt man ja täglich, gestresste Eltern, die im Job funktionieren oder nach einem Job suchen, enge Betreuungszeiten für Kinder in den Kindereinrichtungen, marode Einrichtungen, vor allem auch Schulen, dann überforderte Lehrer, Eltern in Not- mit vielen Ängsten belastet, dazu teure Nahverkehrsmittel und auch Essensangebote in Einrichtungen und Schulen. Eltern haben zu wenig Zeit für ihre Kinder, nehmen sich oft zu wenig Zeit, das Kindergeld reicht kaum aus, Kindersachen werden immer teurer, die Belastungen durch Zuzahlungen in den Schulen nehmen zu. In den ländlichen Gebieten fehlen oft gute Kultur- und Sportangebote für Kinder, sind nicht mit dem Nahverkehr erreichbar nach der Schule. Ohne mehr Geld, Zeit und Infrastruktur ist da wenig machbar. Gruß- Uwe