Willkommen im Blog

"Familien brauchen Zeit, Geld und Infrastruktur"

Politik kann und muss sich um das Wohlergehen von Familien kümmern, sagt Entwicklungspsychologe Prof. Axel Schölmerich von der Ruhr-Universität Bochum. Was dazu notwendig ist, erklärt er im Interview.

Veröffentlicht:15.06.2015 Schlagworte: Familie Kommentare: 5

empfehlen

Professor Schölmerich, wie geht es Familien in Deutschland?
Ich würde sagen, überwiegend gut. Wenn man das Ganze aus einer historischen Perspektive betrachtet, kann man sagen, dass die Leistungen und Maßnahmen, die zur Verfügung stehen, das Leben als Familie und das Großziehen von Kindern deutlich erleichtern und fördern. Es gibt ein Bekenntnis dazu, dass wir uns als Gemeinschaft darum kümmern.

Was braucht eine Familie für ihr Wohlergehen?
Zum einen geht es um die Beziehungen untereinander. Wenn eine Familie in ihrem Zusammenleben funktioniert, spielen Ressourcen nicht die zentrale Rolle. Gleichzeitig brauchen Familien Voraussetzungen, unter denen sie funktionieren können, und dazu gehört zum Beispiel ganz zentral die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Darüber hinaus kann man sagen, Familien brauchen Zeit, Geld und Infrastruktur.

Was heißt das konkret?
Beim Geld gibt es eine untere Grenze, unter der gerade das Leben mit Kindern schwierig wird. Für diese Kinder ergeben sich Einschränkungen, die ihrer Entwicklung nicht zuträglich sind. Das gleiche gilt für die Komponente Zeit. Wenn Eltern unter Dauerstress geraten, weil Beruf und Familie nicht übereinander bekommen, wird es schwierig. Und drittens Infrastruktur: Wir brauchen vor allem qualitativ hochwertige Betreuungs- und Bildungseinrichtungen.

Kann man vereinfacht sagen "Zufriedene Eltern bedeuten zufriedene Kinder"?
Die Wirkung geht ja in zwei Richtungen. Der Zustand der Kinder beeinflusst auch das Wohlbefinden der Eltern. Und es gibt auch an anderen Stellen Wechselwirkungen: Das Bildungsniveau der Eltern ist für das Wohlergehen von Kindern eine ganz entscheidende Komponente. Das heißt, langfristige Investitionen, um das allgemeine Bildungsniveau weiter anzuheben, sind auch für das Wohlergehen von Kindern positiv. Das ist etwas, dass sich erst nach langem zeitlichen Vorlauf auswirkt, aber die Investition lohnt sich.

Wie lässt sich Wohlergehen überhaupt messen?
Kinder beispielsweise haben dann ein hohes Maß an Wohlergehen, wenn sie einen altersgemäßen Entwicklungsstand haben und in ihrer Umgebung Faktoren vorhanden sind, die ihre weitere Entwicklung fördern. Bei dieser Entwicklung reden wir sowohl über Kompetenzen wie Alltagsfertigkeiten und Sprachkompetenzen, als auch über Selbstvertrauen und ein positives Selbstwertgefühl. Das kann man schon bei relativ jungen Kindern abbilden, zum Beispiel indem man Eltern danach fragt. Daraus ergeben sich für uns Möglichkeiten, Wohlergehen wissenschaftlich zu messen.

Wie viel Einfluss kann und sollte Politik auf das Wohlergehen von Familien nehmen?
Die Politik muss ganz klar etwas tun, aber man muss im Kopf behalten: Die Maßnahmen, über die politisch entschieden wird, wirken indirekt. Letztlich entscheiden die Eltern, ob sie Maßnahmen in Anspruch nehmen oder nicht. Außerdem gibt es immer unterschiedliche Wege, ein Ziel zu erreichen. Es gilt also beispielsweise zu überlegen, ob es sinnvoller ist, in Infrastruktur zu investieren, also zum Beispiel die Qualität der Tagesbetreuung zu erhöhen, oder direkt mit Unterstützungsmaßnahmen in Form von Geld zu arbeiten.

Das heißt, wir brauchen ein breites Angebot an familienpolitischen Maßnahmen?
Genau. Man merkt das an der öffentlichen Diskussion. Immer wenn jemand sagt, so wird es gemacht und das ist für alle gültig, gibt es Widerstände. Das ist ja auch sinnvoll so. Wir alle haben unterschiedliche Lebensentwürfe. Trotzdem sollte der Stand der Forschung dazu, wie sich bestimmte Angebote auf Kinder auswirken, Beachtung finden. Zum Beispiel gilt generell, dass alle Kinder von Tagesbetreuung mit guter Qualität profitieren, Kinder aus Elternhäusern, die weniger bildungsorientiert sind, aber besonders. Negative Effekte von niedrigem Einkommen sind bei Kindern, die halb- oder ganztags fremdbetreut werden, schwächer als bei Kindern, die nur familiär betreut werden. Würde man nun Angebote so gestalten, dass gerade solche Kinder bzw. Familien davon ausgeschlossen sind, wäre das keine gute politische Maßnahme.

Wo sollte jetzt die Priorität bei der Unterstützung von Familien liegen?
Auf dem Infrastrukturausbau zum Beispiel. Wenn man die Qualität der Tagesbetreuung betrachtet, ist da immer noch einiges zu tun. Aber wir können beim Thema Infrastruktur genauso gut über marode Schulen sprechen oder Risiken, die das Wohnumfeld betreffen. Darüber hinaus gibt es weitere Maßnahmen, die Zeit freisetzen, politische Investitionen, die sich lohnen. Die Elternzeit hat zum Beispiel einen interessanten Effekt: Weil diese Maßnahme zeitlich begrenzt ist, kehren viele von denen, die sie in Anspruch nehmen, anschließend auch wieder in den Beruf zurück.

Was macht aus Ihrer Sicht Lebensqualität in Deutschland aus? Beantworten auch Sie die beiden zentralen Fragen des Bürgerdialogs.

Kommentare: 5

  • Es liegt an jedem einzelnen Mitbürger sich dorthin zu bewegen, wo er gerne hin möchte, um demokratisch mitzuwirken und zu handeln. Das dazu ein Wandel in der Gesellschaft zwingend nötig ist, das steht für mich außer Frage. Was bisher in Deutschland geschehen ist, das beruht auf der Tatsache, dass eine Wiedervereinigung zwischen Ost und West stattgefunden hat, aber auch der Zusammenschluss der EU trägt seinen Teil dazu bei, dass wir den Aufstieg aus den 70iger Jahren in den 80igern nicht fortsetzen konnten. Die Politik hat sich mit dem Raubtierkapitalismus für eine Wirtschaftsform entschieden, die nachweislich negativ auf den Werteerhalt dieser Gesellschaften einwirkt und ihr Freiräume durch wirtschaftliche Diktate nimmt, die sie in der freien und sozialen Marktwirtschaft hatte. Es war nicht immer so, dass Großkonzerne das Diktat für die Preispolitik ganzer Völker in ihrer Macht hatten. Der Markt entwickelte sich durch die Ansprüche aus der Bevölkerung und nicht durch gezielte Werbung.

  • Viele Lebensansprüche der Menschen sind ja abhängig von deren Stellung in sozialen Schichten, auch vom Vermögen, Einkommen etc. Es geht ja sehr oft um die soziale Schere Arm- Reich in dieser Gesellschaft, die ja sehr überspannt ist. Leider kann ich ohne genügend Einkommen, sprich Geld zum Bezahlen nur selten selber entscheiden, was für mein Kind gut ist, man muss dann vorhandene kostenfreie oder preiswerte Angebote nutzen, kann sich vieles noch gewünschte Bessere nicht finanziell leisten. Wir sind eben eine Mehrklassengesellschaft, niemand muss hungern oder verdursten, aber viele Dinge, die gut für Kinder und auch Erwachsene sind oder wären, kann man sich einfach nicht mehr oder überhaupt leisten. Wenn Eltern trotz Arbeit nicht genügend Einkommen haben, können sie und ihre Kinder nicht würdevoll leben und vieles Gute für ihre Kinder und sich selber nicht finanzieren. Da nutzt dann Demokratie auch wenig. Gruß- Uwe

  • Familien brauchen vorrangig einen Vater und eine Mutter, die die Verantwortung dafür nicht nur übernehmen sondern auch tragen, bis die Kinder sie selbst tragen können. Es ist ja schön, wenn es so viele Menschen gibt, die "wissen" wie es richtig geht, und doch leiden viele Kinder an psychischen Problemen, die aber ebenso schnell analysiert sind. Ich finde es schrecklich in einer Gesellschaft nichts bessers zu tun zu haben, als den Menschen ihre privaten Lebensansprüche anzukreiden, um daraus eine "bessere" Gesellschaft zu formen. Was hat das mit Demokratie zu tun? Ich will selbst entscheiden was für meine Kinder gut ist und wer meine Kinder wo betreut. Das ist doch nicht Aufgabe des Staates, er kann die Möglichkeiten schaffen, muss sich aber nicht um deren Finanzierung sorgen, die Sorge müssen schon die Eltern selbst tragen. Arbeit ist die Grundlage für ein würdevolles Leben von Familien, das muss Politik in ihren politischen Alltag aufnehmen und umsetzen indem sie sie fördert.